1. Polyamorie 01


    Datum: 01.05.2019, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byBlackHatNCat

    ... in die Hände. Ich fing an, es durchzublättern. Darin gab es viele Erinnerungen. Nicht nur für Lena, sondern auch für mich. Alex und ich beim Bergwandern oder Kinderfotos von Lena und Lisa. Beim Betrachten der Bilder wurde ich melancholisch. In dem Moment wurde mir der Verlust erst richtig bewusst. Nie wieder Bergwandern mit Alex oder die Freude beim Siegtor unserer Nationalmannschaft mit ihm teilen, wie auf dem Foto von der WM-2006. Damals waren wir zusammen beim Spiel in Dortmund. 1:0-Sieg in der Nachspielzeit. Das war eine Freude. Nie wieder werde ich so was mit meinem Bruder zusammen erleben.
    
    In dem Foto-Album entdeckte ich auch ein Bild von mir. Es musste auf meinem 30. Geburtstag aufgenommen worden sein. Von wem wusste ich nicht mehr genau, vermutlich war es Alex. Es zeigte mich in der Mitte, rechts von mir Lena und links Lisa, genauso wie wir neuerdings immer im Bett zusammenlagen. Beide gaben mir einen Kuss auf die Wange. Lisa hatte dabei ihre Augen geschlossen und wirkte wie so oft in dem Alter sehr verträumt. Eine richtig süße ‚Träum-Lisl', so hatte ich sie manchmal genannt, wenn sie über irgendwelche Hausaufgaben sinnierte und dabei an ihrem Stift kaute. Lena schielte bei ihrem Kuss in die Kamera. Ihre Lippen hatte sie schon damals geschminkt, nur nicht in diesem knalligen Rot, wie heutzutage. Sie grinste breit. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass Lenas Zungenspitze zwischen den Lippen hervortrat. Dazu dieser vorwitzig, freche Blick von ihr. Es brachte ...
    ... mich trotz Tränen zum Lachen. Lena war schon damals ein kleiner neckischer Teufel, sie hatte den Schalk im Nacken.
    
    Just in dem Moment kam Lena aus der Küche und wollte mich zum Essen holen. Sie bemerkte meine Tränen, stützte sich auf die Sofalehne und schaute mir über die Schulter. Als sie sah, weshalb ich weinte, fing sie ebenfalls an. Mitfühlend setzte sie sich neben mich. Zusammen blätterten wir durch das Album und lachten oder weinten gemeinsam.
    
    Nach einer Weile flüsterte sie kaum hörbar: „Ich liebe euch! Bitte verlasst ihr mich nicht auch noch. Ich habe sonst niemand mehr auf der Welt."
    
    Ich konnte Lenas Gefühle ganz und gar nachvollziehen. In den letzten Wochen hatte ich immer wieder dieselben Ängste, bezüglich Lisa und ihr. Darum versicherte ich: „Wir werden dich nie verlassen! Bestimmt nicht. Wir sind eine Familie, nicht groß, aber wir lieben uns!"
    
    Lenas Miene wurde ernst. Sie betrachtete mich lange mit ihren wundervollen, warmen Augen. Suchte in meinem Gesicht nach Antworten, auf Fragen, die sie nicht stellte. Als Lena sie scheinbar fand, schlang sie ihre Arme um meinen Hals und drückte mich aufs Sofa zurück. Auch ich schloss meine Arme schützend um sie. Unsere Lippen näherten sich langsam, dann küssten wir uns sanft und zärtlich. Das war eine mir nahezu unbekannte Seite von Lena, sie legte mir ihre Gefühle offen, wie ich es von ihr bisher nicht kannte.
    
    Diese schüchterne Verletzlichkeit und nach außen augenscheinliche Ruhe war für Lena untypisch. Sie war ...
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