1. Die Burg


    Datum: 20.04.2018, Kategorien: Sonstige, Autor: Aldebaran66

    ... in meinem Hals.
    
    "Bitte nehmt mich einmal in den Arm. Ich möchte noch einmal leben spüren. Leben, dass ich selber begründet habe."
    
    Sie trat einen Schritt auf mich zu und ich konnte nicht anders als meine Arme auszubreiten. Schon wenige Sekunden umschlangen mich ihrer Arme und sie die meinen.
    
    Ihr Körper presste sich an Meinen und ich konnte spüren, wie sie sich ihr Leib schüttelte, denn sie fing jetzt richtig zu weinen an. Ihr schluchzen drang an meine Ohren und ich hielt sie so lange an mich gezogen fest, bis es sich gelegt hatte. Erst dann löste sie sich von mir und ich gab sie wieder frei.
    
    Dann hielt sie dem Mann auf dem Stuhl ihre Hand hin. Dieser musste der Bewacher gewesen sein, der auf sie hatte aufpassen sollen.
    
    Dieser stand auf und nahm ihre Hand. Dann gingen beide mit mehreren Schritten rückwärts auf die Außenmauer des Turms zu, bis sie dagegen stießen, wobei Dorlein mir in die Augen sah.
    
    An der Mauer angekommen, rutschten beide langsam daran herunter um wenig später an die Mauer gelehnt dazusitzen. Kaum saßen sie dort, rutschte Dorlein noch ein wenig weiter herunter und legte ihren Kopf an seine Brust, während er sie festhielt. Beide streckte sie jeweils einen Arm vor und ich sah auf einmal, dass beide Arme an den Pulsadern aufgeschnitten waren. Das Blut rann heraus und vereinte sich auf dem Holzboden.
    
    Dieses Blut floss in einem Rinnsal langsam in Richtung Falltür, und da diese geschlossen war, floss es in die Ritze zwischen Falltür und ...
    ... Holzboden. Dann wurde es langsam dunkler, war geronnen und schon wenige Sekunden später fast schwarz, während sich eine Staubschicht darauf gelegt hatte.
    
    Ich hatte dem Schauspiel fasziniert zugesehen und wendete erst jetzt meinen Blick wieder auf die beiden.
    
    Dorlein sah inzwischen älter aus, genauso wie der bei ihr sitzende Mann. Es war unübersehbar, dass sie vor meinen Augen alterten. Dann hauchte Dorlein noch einmal: "Danke euch!"
    
    Ihr Kopf drehte sich daraufhin nach oben und sie sah den Mann an, der wiederum seinen Blick nach unten gedreht hatte. Ein feines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, dann hörte man ein leises ausatmen, welchem kein erneutes Einatmen mehr folgte.
    
    Trotzdem ging der Prozess des Alterns noch weiter. Erst als vor mir nur noch zwei mumifizierte Leichen lagen, die sich noch in der gleichen Stellung befanden wie zuvor, endete der Vorgang.
    
    Jetzt konnte ich rekonstruieren, was sich hier oben abgespielt haben musste. Dorlein hatte hier oben ihr Kind zur Welt gebrach und es nach unten abgeseilt, danach hatte sie sich mit ihrem Bewacher das Leben genommen. Der Fluch hielt sie aber in gewisser Hinsicht gefangen und sie konnte nicht wirklich sterben. Das Blut der beiden verhinderte das öffnen der Falltür. So waren die Beiden viele Jahre hier oben eingesperrt gewesen und mussten darauf warten, erlöst zu werden.
    
    Es macht mich traurig, denn wie lang musste einem die Zeit vorkommen, wenn man Jahrhunderte lang warten musste. Eine wirkliche Strafe.
    
    Am ...
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