1. Der Onkel -- Teil 01


    Datum: 26.04.2018, Kategorien: Transen Autor: byGesa

    1. Merle
    
    Es war wieder soweit. Ich durfte wieder von der Großstadt Berlin für die Ferien aufs Land zu meiner Tante und meinem Onkel fahren. Ich freute mich seit sechs Jahren jedes Mal darauf. Ich konnte mich nur schwach an meinen Vater erinnern. Meine Mutter hatte nach dem Unfalltod meines Vaters vor zwölf Jahren versucht, sich als alleinerziehende Witwe durchzuschlagen. Meine Tante Ida als Schwester meines Vaters konnte sie damals nicht unterstützen, da sie in der damals noch existierenden DDR lebte.
    
    Vor sechs Jahren hatte meine Mutter dann erneut geheiratet. Mein Stiefvater war aus einer kleinen Stadt in Bayern als Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten nach Berlin gekommen. Dieser extrem konservative Mann war mir auch nach bald sechs Jahren noch ein Graus, aber ich hatte mich mit der Situation abgefunden. Mit gut achtzehn Jahren sollte ich das wohl auch. Nächstes Jahr stand der Abschluss der Lehre ins Haus -- und meine Mutter erwartete gute Zensuren. Ich mochte meine Mutter, aber meine Vorstellungen von meiner beruflichen Zukunft waren nicht gerade in Übereinstimmung mit denen von meinen Eltern.
    
    Nach meiner Prüfung für den Realschulabschluss hatte ich damals durchgesetzt, ein Praktikum in einer Tanzschule machen zu können, bevor ich mich in eine Lehre bei einer Bank begab. Das Praktikum hatte mir gut gefallen, aber mein Stiefvater war von der ‚Schnaps-Idee' dieser schlecht bezahlten Arbeit alles andere als begeistert. Es hatte mehrere Male einen handfesten Streit ...
    ... gegeben, als ich damals Überlegungen geäußert hatte, später Tanzlehrer zu werden. Der aktuelle Kompromiss bestand darin, dass ich nach der beendeten Lehre bei der Bank ein Studium an der Fachhochschule aufnehmen sollte. Soweit waren wir uns halbwegs einig, aber mein Stiefvater bekam Zustände, wenn ich von Ferienjobs in Tanzschulen redete und ich selber fühlte mich genervt, wenn mein Vater von bezahlten Praktika in den Ferien bei der Bank schwadronierte. Wir waren nicht gerade ein Herz und eine Seele. Das hatte sich schon früh gezeigt. Immerhin hatte ich den Nachnamen meines Vaters behalten -- ich wollte schon als Zwölfjähriger nicht den Namen meines Stiefvaters tragen.
    
    Meine Mutter war von einer freischaffenden Künstlerin zu einer nach Perfektion strebenden Hausfrau für ‚ihn' mutiert. Seit der Zeit war der Kontakt mit ihrer viel jüngeren Schwägerin Ida abgebrochen -- ich war praktisch das einzige Bindeglied zwischen den beiden, weil ich sie immer in den Sommerferien besuchen durfte, sogar noch in der Zeit, als Ida in der DDR war und wir in West-Berlin. Mein Stiefvater war stockkonservativ und ein hochrangiger Parteisoldat. Ihre Ideen über meine Erziehung waren immer kontrovers gewesen, solange ich mich erinnern konnte und sie blieben es auch im Hinblick auf meine Zukunft.
    
    2. Reinhard
    
    Reinhard wusste, dass er ein Außenseiter war. Das war er schon immer gewesen. Das brachte das Leben so mit sich, wenn man als Sohn eines schwulen, sowjetischen Balletttänzers aufgewachsen ...
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