Sabbatical
Datum: 27.02.2021,
Kategorien:
Transen
Autor: EmmetttBrown
Chris hatte es gerade noch geschafft, ein wenig einzukaufen bevor die Geschäfte schlossen. Selbst an seinem vorerst letzten Arbeitstag waren es wieder 14 Stunden gewesen, nun ging er die letzten Meter durch einen der kleinen Parks in seiner Heimatstadt Hamburg und genoss die Ruhe. Der Vollmond spendete einem der letzten Sommerabende Licht, er setzte sich auf die Parkbank und zündete sich eine Zigarette an. Das Rauchen würde er sich als Erstes im nächsten Jahr abgewöhnen. Er dachte an die letzten zwei Jahre zurück. Überraschend hatte sein Unternehmen vor zwei Jahren einen großen DAX-Konzern als Kunden gewonnen. Doch bevor die Zusammenarbeit beginnen konnte, mussten erst einmal die Voraussetzungen geschaffen werden: Software musste implementiert werden, Teams mussten gegründet und auf einander abgestimmt werden. Chris war vor zwei Jahren mit der Projektleitung beauftragt worden. Er hatte das Projekt im letzten Monat erfolgreich abgeschlossen: er war stolz, aber auch kraftlos.
Er lächelte müde, als er den Rauch der Zigarette einzog, die Wärme des späten Abends fühlte und dachte, „gut, dass der Zoll keine Arbeitszeitkontrolle durchgeführt hat.“ Er bekam feuchte Augen. Er fühlte auf einmal die Leere, emotional, körperlich, gedanklich. Urlaubstage hatte er in den letzten zwei Jahren nur sporadisch, und selbst wenn, so war er telefonisch für die Chefs und den Auftraggeber erreichbar. Beide Jahre hatte er sich fast den kompletten Urlaub per Bonus auszahlen lassen. ...
... Sicherlich, er hatte gut verdient, war aber in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Wandsbek geblieben, während andere Freunde und Kollegen schon lange in Winterhude oder an der Elbe lebten. Vor drei Monaten dann war er auf seine Chefs zugegangen und hatte die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen, angesprochen. Seine Chefs waren diesbezüglich nicht nur sehr dankbar für die Vergangenheit, sondern sahen ebenso die Notwendigkeit. Chris war froh, in diesem Unternehmen zu arbeiten. Das Wort Familie, welches in vielen Unternehmen als Buzzword verwendet wird, wurde hier gelebt. Das „faule Sau“, welches er in der Folgezeit ab und zu ertragen musste, war freundschaftlich und beinhaltete unausgesprochen ein „wir freuen uns für Dich“ und „Du brauchst es.“ Als Dankeschön hatte er heute von seinen Chefs und dem Kunden einen nicht unerheblichen Reisegutschein geschenkt bekommen.
Das einzige, was Chris bereute war, dass er keine Zeit hatte, sich um sein Privatleben zu kümmern. Vor knapp drei Jahren hatte er sich von seiner Freundin getrennt, danach ein paar Dates und auch One-Night-Stands gehabt. Doch an den Aufbau einer Beziehung war nicht zu denken. „Okay Chris, hier der Schlachtplan. Erst einmal ausschlafen, eine neue Wohnung suchen, umziehen, reisen und dann schauen wir mal, was passiert“, dachte, sprach er fast zu sich selbst.
Komischerweise dachte er in diesem Moment an seine Nachbarin. Dabei kannte er noch nicht einmal ihren Namen. Wann immer er in den letzten zwei Jahren vor dem ...