1. Schlechte Noten


    Datum: 10.09.2022, Kategorien: Erstes Mal Autor: Andre Le Bierre

    Es war ein schrecklicher Tag, als ich mit meinem Abschlußzeugnis der Fachoberschule nach Hause kam. Wir wohnten damals noch in Bodry, ein weißrussisches Dorf südlich von Kaliningrad, das damals mal Königsberg hieß. Die Region Kaliningrad war mittlerweile selbstverwaltet und es gab sogar eine Sperrzone zwischen Russland und Polen. Die meisten Orte waren wie leer gefegt.
    
    Wir waren arm. Meine Eltern arbeiteten auf den Feldern der Bauern und ich hatte das Privileg, in Kaliningrad auf die Fachhochschule zu gehen. Das Schulgeld hatten meine Eltern mühsam gespart. Ohne Geschwister war ich alleine zu Hause. Die Wohnung war kalt, wenn nicht jemand den Ofen anheizte. Meine Eltern taten das erst am Abend. So achtete Sveta, unsere Nachbarin auf die Wohnung und heizte den Ofen an. Sveta war eine wirkliche Frohnatur. Selbst, wenn es wenig zu essen gab und es bitterkalt war, hatte sie ein Lächeln auf den Lippen. Mädchen? Ja, die gab es. Entweder gingen die ebenfalls auf die höheren Schulen oder arbeiteten auf den Feldern. Die hatten Nachmittags garantiert keinen Bock mehr mit jemanden abzuhängen. Die meisten waren genauso arm wie wir.
    
    Aber wir waren nahezu zufrieden, weil wir gesund waren. In den Ferien musste ich auch auf den Feldern arbeiten und gerade im späten Herbst den Weißkohl und andere Gemüsesorten von den Feldern holen. Aber es war noch eine Woche vor den großen Herbstferien. Ich kam nach Hause und Sveta hatte den Ofen angeheizt. Sveta war mit ihren 42 Lenzen schon Witwe. ...
    ... Ihr Mann war vor zwei Jahren gestorben. Er litt an einer schweren Entzündung, wo selbst die Ärzte ratlos waren.
    
    Er war doch sowieso schon fast 20 Jahre älter als sie. Und dabei war sie so hübsch mit ihren schulterlangen blonden Haaren. Die Wohnung war warm. Ich hatte sogar die Schuhe und die Socken ausziehen können und lief barfuß über den alten gegossenen Terrazzoboden. Ich setzte mich auf mein altes Schlafsofa, dass mit grau-rosa gestickter Bettwäsche bezogen war. Das selbe Muster war an der wand meines Zimmers. Die blauen ornamentverzierten Vorhänge passten eigentlich nicht dazu, aber das war alles, was wir hatten.
    
    Ich kannte ganz andere Jugendzimmer aus dem Westen, teilweise aus Polen und aus Deutschland, von meinen Facebookfreunden und ihren Bildern. Ich postete nur selten Fotos von mir selbst.
    
    Internet und Fernsehen, das gab es bei uns in ziemlich guter Qualität. Das war auch nicht so teuer, wie in Deutschland. Eines Tages wollte ich nach Deutschland reisen und mir selbst ein Bild machen. Die Einbürgerung von Weißrussen war ja mal eine Zeit lang möglich. Meine Eltern wünschten sich so eine Zukunft für mich.
    
    Ich saß auf meiner Schlafcouch und sah mein verpatztes Zeugnis an. Ich hatte gerade so bestanden. Es reichte aber nicht, um einen vernünftigen Job zu bekommen. So blieb mir wohl nur weiter die Arbeit auf den Feldern, bis es zu einer Einstellung kommen würde, die ich wohl nur mit sehr viel Glück erlangen könnte. Plötzlich stand Sveta vor mir in ihren hohen ...
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