1. Herz aus Stein


    Datum: 08.07.2024, Kategorien: Romantisch Autor: katalina

    Zu den Steinen hat einer gesagt: "Seid menschlich." Die Steine haben gesagt: "Wir sind noch nicht hart genug." (Erich Fried)
    
    Sie erblickte nicht mit einem Mal das Leben.
    
    Vielmehr sickerte es langsam, aber beständig in ihr stetig erwachendes Bewusstsein. Wann alles begann, konnte sie nicht mehr genau festmachen. Anfangs entstanden einfach nur Sinneseindrücke, auch ganz ohne die entsprechenden Sinnesorgane. Die Fähigkeit sie zu deuten, wuchs mit jedem neuen Tag und irgendwann begann sie sich ihrer selbst bewusst zu werden.
    
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    Er hatte sie geschaffen, er hatte sie in seinen Keller gekarrt. Das alte Gewölbe war ihr Geburtsort und ihr kleines Universum, denn sie kannte nichts anderes. Es hatte ihm viel Mühe bereitet, sie auszuwählen, die richtige Beschaffenheit zu finden, die ausdrucksvollste Linienführung auszumachen, das passende Gefüge zu entdecken. Ihre Eigenschaften bildeten das Optimum aus, das er für sein Projekt brauchte, denn er hatte Großes vor. Er wurde getrieben, etwas zu schaffen, das ihn erfüllte und das ihm Leben einhauchte. All das zum Ausdruck zu bringen, was wie ein schlafender Drache in ihm schlummerte war sein Ziel. Nach vielen Tagen schweißtreibender und grober Arbeit war er endlich so weit, dass sie anfing Konturen zu bekommen. Wenn man sie aus der Distanz anblickte, konnte man langsam erahnen, was aus ihr werden sollte. Mit jedem Tag, an dem sie mehr Gestalt gewann, füllte sie sich wie ein Behältnis mit Leben, Gedanken und ...
    ... Empfindungen. Sie selbst spürte, dass sie etwas wurde und sich entwickelte wie eine Raupe im Kokon. Dann nahm sie ihn zum ersten Mal richtig wahr. Es war als würde er sie aus einem Gefängnis befreien, einen Eisblock, der sich um sie gelegt hatte, abklopfen. Mit jedem Stoß seines Meißels, den er an sie anlegte, fühlte sie sich ihrem Schöpfer näher und gewann an Profil.
    
    Der Mann trat erschöpft einen Schritt zurück, um die ersten Umrisse seines Werkes zu betrachten. Wie anmutig sie in Lebensgröße vor ihm kniete, sich zu ihm hochzurecken schien. Er hatte die letzte Zeit wie in Trance gearbeitet, seitdem dieser Traum ihn immer wieder heimgesucht hatte und ihn anleitete etwas ganz Besonderes zu schaffen. Wie gut ihm diese Skulptur zu gelingen schien, erstaunte ihn, noch nie war ihm eine seiner Figuren so lebensecht vorgekommen. Dabei hatte er noch gar nicht mit der Feinarbeit begonnen. Wie viel würde er noch aus ihr herausholen können?
    
    Versonnen glitt sein Blick über die Andeutung ihrer Schenkel, die leicht geöffnet einluden sich näher mit ihnen zu befassen. Erstaunt stellte er fest, dass sein Schwanz leicht gegen seinen Hosenstall drückte und wie sehr ihre Pose an seiner Seele rührte. Bestärkt in seinem Schaffen trat er wieder auf sie zu und machte sich daran ihren Oberkörper aus dem kühlen Marmor herauszuarbeiten.
    
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    Sie spürte jeden Hieb des Meißels dumpf klopfen und mit jedem Stück Stein, der von ihr ab fiel, lebte der Tastsinn ihres endgültigen Körper auf. Als er ...
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