1. In der Nähe so fern


    Datum: 23.10.2019, Kategorien: Verschiedene Rassen Autor: byAuden James

    ... zurück, keine Sorge.«
    
    »Okay, nicht vergessen. Ich mache dir dein Lieblingsessen heute Abend.«
    
    Im Glaseinsatz der Haustür wurde die düstere Straße eingefangen und verzerrt in einer Reihe wirbelnder Kreise. Aiko öffnete sie mit einem lauten Knarren und trippelte die Treppenstufen hinab in Richtung Bürgersteig.
    
    *
    
    Drei Straßen weiter schwang Hannahs Tür auf. Sie zitterte förmlich, ihr Gesicht übersprudelnd vor Freude.
    
    »Aiko! O mein Gott!« Sie warf ihre Arme um Aiko, einen zufriedenen Seufzer ausstoßend. »Viel zu lange her, Lady.«
    
    Aiko erwiderte ihre Umarmung vollumfänglich, ihren vertrauten Geruch einatmend. Hannahs Haar, braun und fransig, kitzelte ihre Nase.
    
    »Ich weiß, ich war komplett verschollen.«
    
    »Allerdings, hundert Jahre in etwa!« Hannah trat zurück und musterte sie. Sie konnte kaum stillstehen.
    
    »Eher zwei«, sagte Aiko nüchtern.
    
    »Zwei, zehn, egal. Es war eine Ewigkeit.« Hannah gestikulierte wild: »Komm rein!«
    
    Aiko betrat befangen die Diele eines Hauses, in dem sie einen Gutteil ihrer Zeit als Teenager verlebt hatte. Der unaufdringliche Muff und die hölzernen Odeurs versetzten sie zurück in eine Zeit, die kaum verstrichen war, doch sich anfühlte wie ferne Vergangenheit. Sie wehrte plötzlich und unerwartet aufsteigende Tränen ab.
    
    »Für wie lange bist du in der Stadt?«
    
    Sie blickte hinter sich in die matten Schatten der schmalen Diele, wo sie Hannahs Silhouette auf sich zutreiben fand.
    
    »Fünf Tage. Dann muss ich zurück nach ...
    ... Providence.«
    
    »Fünf Tage?«
    
    »Jepp, ich bin einfach zu spät zurückgekommen aus Kyoto. Und die Uni fängt nächste Woche an«, entgegnete Aiko lapidar.
    
    Hannah geleitete sie sanftmütig aus der Diele, vorbei am Wohnzimmer in eine schlichte, aber elegant beleuchtete Kitchenette.
    
    »Na, immerhin kann ich dich besuchen. Du wirst ja nicht 20 Flugstunden weit weg sein«, lachte sie. »Lass mich dir einen Drink machen. Du magst Sangria?«
    
    *
    
    Die meisten Sangrias enthalten kein Eis, Hannahs schon. Die Würfel schmolzen mittlerweile auf dem Grund von Hannahs und Aikos Gläsern.
    
    »Weißt du, irgendwie steige ich nicht dahinter, wieso du so fixiert auf Japan warst, dass du ein zusätzliches Jahr bleiben musstest«, bemerkte Hannah, eine Tupperware-Dose voll aufgeschnittener Wassermelone aus dem Kühlschrank nehmend. »Ich meine, gibt's nicht jede Menge megageile Studienangebote und Praktika für Photographie hier in der Stadt?«
    
    »Gibt's …« Aiko verlagerte ihr Gewicht gegen die Arbeitsplatte. »Ich wollte einfach andere Städte sehen. Das ist nicht so schwer zu verstehen.«
    
    »Kann sein«, sagte Hannah. »Vielleicht ist der Unterschied, dass ich noch nicht so lange in der Stadt lebe wie du.«
    
    Sie zog den Deckel von der Dose und holte zwei Gabeln hervor.
    
    Aiko betrachtete sie still.
    
    Pragmatische, umsichtige Hannah.
    
    Hannahs Familie war zu eng verbunden, als dass irgendeines ihrer Mitglieder sich allzu lange weit entfernen konnte.
    
    »Ich wette, es ist ein Typ«, sagte sie plötzlich. Aiko zuckte ...
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