1. Lothar


    Datum: 17.05.2018, Kategorien: Voyeurismus / Exhibitionismus Autor: Anonym

    Oh nein, Klassentreffen!! Das war meine erste Reaktion, als ich den fotokopierten Brief aus meinem Kasten nahm. War das Abi denn irgendeine runde Zahl von Jahren her oder warum fingen sie sonst jetzt damit an.
    
    Der grausige Gedanke ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Aber irgendwie hatte ich dann doch das 17 Jahre alte Abifoto in der Hand. Mal sehen, wie weit es mit meiner Demenz war: Kaum zu glauben, ich kannte noch alle Namen. Sogar an Details konnte ich mich erinnern. Hans, der auch mit 18 noch keinen echten Stimmbruch hatte, Gaby, die so wahnsinnig schöne Aufsätze schreiben konnte, Lothar konnte Gitarre spielen und war der Held am Baggersee und Ingo konnte Geige und war das arme Schwein, das zum Schulorchester musste, wenn wir am Baggersee waren, Jutta, wenn Du neben ihr gingst, wurde Ich unsichtbar. Alle wollten Dich und ausgerechnet Jens hast Du rangelassen, danach wohl noch einige; aber mit Jens Sammlung bist Du nie mehr mitgekommen, Du hattest ihn praktisch geadelt. Und da war ja auch ich, Helen. In der zweiten Reihe, hinter den kleineren Mädchen. Die Schultern leicht eingezogen, die Haare sportlich kurz, nicht aufregend kurz, eher so 8cm lang Ohren bedeckt. Für die Farbe gibt es noch nicht mal heute ein Wort. Mehr konnte ich nicht von mir sehen und dabei hatte ich mir extra für das Foto ein neues Kleid gekauft.
    
    Wirklich wahr, ich habe fast eine Stunde mit dem Foto verbracht. Und von den paar Leuten, die in der Stadt geblieben waren, wusste ich sogar in etwa, was ...
    ... aus ihnen geworden war. Nein, ganz ohne Spaß, Helen, an dem Abend bleibst Du schön zuhause, Du musst noch dringend das Besteckfach neu beschriften.
    
    Schöner Gedanke, doch Wunder passieren immer wieder, schon am nächsten Tag traf ich Ilse, eine der Autorinnen des Briefes, beim Einkaufen. „Mensch Helen, Zufall. Na, hast Du unseren Brief gekriegt? Dann brauchst Du auch gar nicht mehr die Anmeldung zu schicken und sag mal dann kannst Du eigentlich auch den Saal mit fertigmachen. Die meisten wohnen ja nicht mehr hier.“ Damit war dann alles klar, Jutta war immer so gewesen. Regel das eben; aber lass die anderen nicht alles durcheinander bringen.
    
    OK, liebe Helen, dann also viel Spaß mit den jungen Müttern und den Karrierehengsten. Ich freute mich schon auf die Frage: „Was, keine Kinder, och, ein Kind gibt Dir so viel.“ Oh ja, Königin der Augenringe, ich sehe es. „Was zur Miete, komm mal vorbei, ich zeig Dir mal, wie einfach Du heute zu Wohneigentum kommst.“ Oh ja, aber weißt Du auch, wie man 20 kg Übergewicht verliert, dann mach es einfach. Sei nicht zynisch, freu Dich!
    
    Die Freude hielt sich in Grenzen; aber ehrlich gesagt machten mir die 3 Vorbereitungsnachmittage mit Ilse und ihrer Truppe richtig Spaß und irgendwie fand ich mich dann auch prompt zuerst in allen 6 Klamottenläden der Stadt bis ich dann doch das hochgeschlossene schwarze Kostüm mit dem doch eher kurzen Rock und der sensationellen Bluse aus dem ersten Geschäft kaufte. Ach, so ein Zufall, erst 4, vielleicht hat ...
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