1. Wer sich in Gefahr begibt . . .


    Datum: 01.06.2020, Kategorien: Betagt, Autor: bynachtaktiv

    ... den Tränen. Das sprichwörtliche Häufchen Elend sitzt vor mir.
    
    "Ach Sven." Ich trete nahe an ihn heran. Meine Fingerspitzen kämmen seine weichen Haare.
    
    "Ich schäme mich so", stammelt er leise. "Ich weiß auch nicht, warum ich das getan habe."
    
    "Ich bin dir nicht böse. Wenn es das ist, was du glaubst."
    
    Und dann passiert etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Sven schlingt seine Arme um meine Hüften, zieht mich an sich. Er preßt seinen Kopf gegen meinen Schoß. Sofort spüre ich seinen heißen Atem. Wieder fahre ich durch seine Babyhaare.
    
    "Ist es so schlimm?"
    
    Sven nickt in meinen Schoß hinein. Zieht mich noch fester an sich. Schluchzt.
    
    Einen langen Augenblick sagen wir kein Wort. Aus meinem Kämmen ist ein zärtliches Streicheln geworden.
    
    "Soll ich dir dein Essen hochbringen?"
    
    Sven schüttelt den Kopf.
    
    "Nein. Ich komme runter. Muß nur noch mal kurz ins Bad." Sein Blick ist fest. Er ringt mit sich und seinen Ängsten. In diesem Moment stößt er die Tür zum Mannsein auf.
    
    "Was war denn los?"
    
    Ich zucke mit den Schultern.
    
    "Teenager halt. Vielleicht Liebeskummer? Oder Streß an der Uni?"
    
    Susanne durchbohrt mich mit ihrem Blick. Nickt.
    
    "Was die heute verlangen ist sagenhaft. Wenn ich da an meine Zeit zurückdenke."
    
    Mit meiner Gabel piekse ich in eine Krokette. Sie ist lauwarm und meine Gedanken sind ganz woanders.
    
    Sven ist an diesem Abend besonders still. Er traut sich kaum aufzusehen. Ich nehme seinen Teller aus der Mikrowelle.
    
    "Laß es dir ...
    ... gut schmecken."
    
    "Danke."
    
    Susanne nickt ihm freundlich zu. Instinktiv spürt sie, daß heute nicht die Zeit für Späße ist.
    
    "Habe ich dir schon erzählt, daß ich am Wochenende nicht zu Hause bin?", fragt sie mich leise. "Habe ein Arbeitstreffen mit dem Autor, den ich gerade bearbeite. Werde wohl über Nacht bleiben."
    
    Svens Kopf ruckt hoch. Unsere Blicke treffen sich. Für einen Sekundenbruchteil sehe ich Svens Mundwinkel arbeiten.
    
    "Nein. Hast du nicht erzählt", schaue ich schnell Susanne an. "Wo geht's denn hin?"
    
    "Habe ich schon wieder vergessen. Irgend so ein kleines Kaff am Meer."
    
    "Fährst du mit dem Wagen?"
    
    "Mit der Bahn. Ist einfacher. Der Verlag hat alles organisiert. Mit Hotel nehme ich an."
    
    Sven schiebt seinen Teller ein Stück nach vorne.
    
    "Möchtest du noch etwas? Es ist von allem noch etwas da."
    
    "Lieber nicht. Ich bin schon satt genug." Er schlägt sich mit beiden Händen auf den Bauch. "Ich müßte noch etwas arbeiten ... "
    
    Normalerweise sitzen wir nach dem Essen noch eine Weile zusammen. Und normalerweise hilft Sven beim abräumen. Ich nicke ihm aufmunternd zu.
    
    "Ist schon in Ordnung. Wir machen das schon."
    
    "Den hat's aber voll erwischt", meint Susanne und klappert mit dem Geschirr. Ihr Blick hat etwas Lauerndes. Susanne ist nicht dumm und ihr sechster Sinn trügt sie selten.
    
    Ich wage den Sprung ins kalte Wasser. Oder wenigstens bis zu den Knien.
    
    "Ich glaube, Sven hat sich in mich verguckt."
    
    Schon fast gelangweilt zuckt Susanne mit ...
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