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Die Ausstellung
Datum: 14.06.2020, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym
... dass meine Bilder so viel über mich aussagen, dass Sie nachdem Sie sich die Bilder in der Ausstellung angesehen haben, genau wissen, wie es in mir aussieht. Dann können Sie, dachte ich, auch ebenso gern genau wissen, wie ich von außen aussehe. Außerdem möchte ich mit meinem heutige Verzicht auf Kleidung meinen Aktmodellen die Reverenz erweisen, die sich mehr oder weniger bereitwillig für mich ausgezogen haben und mehr oder weniger geduldig die Sitzungen über sich ergehen ließen. Ich sehe, dass einige von ihnen heute auch zur Vernissage gekommen sind. Vielen Dank dafür. Jeder, der sich für mich als Modell für ein Porträt oder ein Aktgemälde zur Verfügung stellt, bringt eine ganze Portion Mut auf. Ich versuche, meine Modelle realistisch abzubilden. Das heißt, dass ich sowohl Licht als auch Schatten der Persönlichkeit in den Bildern einzufangen versuche. Besonders wenn die Bilder der Fertigstellung entgegen gehen und vielleicht nicht ganz so ausgefallen sind, wie sich die Modelle das im Vorfeld vorgestellt haben, wird es für sie zunehmend schwieriger, bei der Stange zu bleiben. Jedes Modell muss zu Anfang der Sitzungen seine Scham überwinden und entspannt werden, sonst wird das Ergebnis verfälscht. Deshalb nehmen wir uns bevor wir mit den eigentlichen Sitzungen für das Bild beginnen viel Zeit, in der sich Modell und Malerin gegenseitig kennenlernen können. Genauso wie meine Modelle musste ich heute meine Scham überwinden. Bei meinen ersten Sätzen war ich unendlich aufgeregt, ...
... zum Einen, weil ich Ihnen heute meine Bilder präsentiere, zum Anderen weil ich am liebsten durch meine Bilder spreche und zum Dritten natürlich, weil ich heute nackt vor Sie trete. Ich fuhr noch einige Minuten fort und wurde mit der Zeit immer sicherer. Meine Arme, die ich am Anfang einfach herabhängen ließ, setzte ich nun ein, um meine Worte zu unterstreichen. Meine Körpersprache wurde immer lockerer. Als ich zum Schluss kam, wollte der Applaus gar nicht enden, schien mir. Jemand drückte mir ein Glas Sekt in die Hand. Ich fühlte mich leicht und beschwingt. Ein weißhaariger Mann gab mir seine Visitenkarte und sagte aufgekratzt: Sie müssen meine Frau und mich unbedingt malen. So eine tolle Vernissage habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht. Rufen Sie mich an. Er ließ mich stehen und ging zu seiner Frau zurück, einer distinguierten grauhaarigen Dame in einem eleganten grauen Kleid. Ich stand da mit seiner Karte in der Hand. Was sollte ich jetzt damit? Marco kam auf mich zu mit einem Journalisten im Schlepptau, der mir ein paar belanglose Fragen stellte. Dann kam auch schon Frau Bergmann mit einem Kunstliebhaber im Schlepptau, der eines der Landschaftsbilder kaufen wollte. Wir sahen es uns gemeinsam an und er stellte einige Fragen zum Motiv. Ich war sofort so in Anspruch genommen, dass ich gar nicht dazu kam, davonzuhuschen und mir etwas überzuziehen. Zunächst hatte ich ja gar nicht vorgehabt, den ganzen Abend nackt zu sein, aber es fühlte sich inzwischen so ...