1. Wenn die Nachtigall erwacht 05


    Datum: 19.09.2018, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: by_Faith_

    ... neuerlichen Besuch des dunklen Waldes zu entziehen.
    
    Der stolze Vogel durchschritt das Unterholz und betrat die schattige Dunkelheit des unheimlichen Waldes. Miriam spürte ein Ziehen in ihren Brustwarzen, das von Kälte, nicht von Erregung, verursacht wurde.
    
    ‚Wenn Du Angst sendest, wirst Du Angst empfangen', mahnte V'nyx der IV., während er sich neugierig umschaute. Er war erst einmal kurz hier gewesen, als er einen dumpfen Mob dieser Kreaturen vertreiben musste, um die Königin zu retten.
    
    Die Königin drückte den Rücken durch, bis sie mit aristokratischer Körperhaltung auf dem großen Vogel saß und schaute in die Finsternis. Sie hatte Angst, dass jeden Moment ein Schwarm Tentakel durch die tief hängende Wolkendecke schoss und sie gefangen nahm, oder gar Schlimmeres mit ihr anstellte. Sie erinnerte sich an die Melodie, die ihr vorhin in Svens Auto eingefallen war und begann, sie zu summen. Zaghaft modulierte sie die Töne und stimmte diese Melodie an, denn sie war ihr eingefallen, als sie sich sehr wohl gefühlt hatte.
    
    Klar wie der Tau bei den ersten Sonnenstrahlen, erklang eine Stimme, wie sie diese Welt noch nicht gehört hatte. In der Tiefe des Waldes regte sich Leben: Schatten erhoben sich und lauschten, gaben ihre Deckung auf und suchten den Ursprung des Gesangs. Die Blaue Königin sah die Wesen kommen und schloss ihre Augen, voller Vertrauen in die Kraft ihrer Stimme. Zu dem samtweichen Grundton flocht sie akzentuierte Obertöne mit ihren sekundären Stimmbändern ein ...
    ... und erschauerte über ihre neu entdeckte Fähigkeit. Um sie herum schloss sich ein dichter Kreis aus dunklen Wesen, die gebannt auf ihren erhabenen Körper starrten und der Stimme lauschten, wie Suchende am Ende ihrer Reise. Die Arie verdichtete sich zu einer bittersüßen Liebkosung.
    
    V'nyx der IV. ging in die Knie, nahm auf dem Boden Platz und lauschte den Tönen seiner Königin, die weiterhin auf seinem Rücken saß und nun auf Augenhöhe mit den dunklen Kreaturen sang. Wie eine Umarmung aus zarten Federn legte sich der Klang ihrer Stimme um die Zuhörer. Jeder neue Ton war eine sanfte Bewegung des melodischen Flaums, eine Wohltat für die Seele, die auf den Körper überging. Selbst das naiv-romantische Mädchen, das sich den Körper mit der Blauen Königin teilte, war beeindruckt von diesem Gesang. Zum ersten Mal fühlte sich Miriam wie
    
    ein
    
    Wesen, das mit sich im Reinen war.
    
    Die Königin sah die Ergriffenheit der zahlreichen Wesen, die dicht um sie herum standen, und schloss ihre Augen wieder, um den gesanglichen Höhepunkt der Arie einzuleiten. Ein letztes Mal streichelte die zarte Melodie in geschmeidigem Sopran über die Seelen aller Anwesenden. Sie ließ den letzten Ton lang gezogen verstummen und öffnete die Augen mit einem glücklichen Lächeln. Und dieses Lächeln spiegelte sich in den zahllosen Gesichtern ihrer Zuhörer wieder.
    
    Die Kälte kam aus der umgebenden Dunkelheit zurück, nachdem das Bannschild der königlichen Stimme verklungen war. Trotz der Rückkehr in eine kalte ...
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