1. Post Hominem Sapientem


    Datum: 23.02.2019, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: byBleeding_Heart

    Sonja ist lange nicht mehr so hübsch, wie sie es als junge Erwachsene mal war. Ihre Haare sind mit der Zeit grau geworden, ihre Augen trüber, ihre Haut faltig. Die Schultern trägt sie heute leicht nach vorne gebeugt, obwohl sie früher gerade waren, ihr Busen ist weniger straff als damals und hängt tiefer herab.
    
    Ihre Hände zittern, einzelne Leberflecken sind bereits zu sehen.
    
    Aber wenn ich sie ansehe, dann bin ich in keiner viel besseren Verfassung: Aus meinem Waschbrettbauch ist ein Bäuchlein geworden, aus Muskelmasse wurde Fett. Auf meiner Nase sitzt ein Brillengestell, und eines meiner Knie musste sogar ganz ersetzt werden. Mittlerweile habe ich häufig Schmerzen im Rücken, wenn ich mich herabgebückt habe, um etwas aufzuheben.
    
    Ich frage Sonja, ob sie noch ein Glas Wein möchte und schenke ihr sogleich nach, da ich ihre Antwort schon kenne. Nach so vielen Jahren der Ehe ist das vermutlich normal. Ich reiche ihr das Glas und berühre ihre warmen, zitternden Finger, wie beim ersten Mal, als ich ihr einen Cocktail in einer Bar spendierte und zum ersten Mal in die blauen Augen blickte, die ich fortan in meinen Träumen sehen sollte.
    
    Ich bin wieder zwanzig und bezahle den Caipirinha, sehe in die schönen Augen des blonden Mädchens, das gebräunt, verschwitzt und halb nackt neben mir auf einem Barhocker sitzt, sich die verklebten Haarsträhnen aus der Stirn streicht und verlegen lächelt.
    
    Der Moment ist vorbei und ich sehe meiner Frau zu, wie sie das Glas leert und es ...
    ... behutsam zurück auf meinen Koffer stellt, den wir als Tischersatz verwenden. Dann sehen wir wieder gemeinsam in den Himmel.
    
    „Ich fasse nicht, dass es tatsächlich so endet."
    
    „Mich überrascht es nicht", antworte ich ehrlich.
    
    „Es war immer nur eine Frage der Zeit. Und wir wollten das bis zum Ende nicht einsehen."
    
    Am Himmel sehen wir, wie die Sonne zuckt. Um uns herum ist alles ausgedorrt, wir sitzen allein auf unserer liebsten Picknickdecke. Allein in der sandigen Hitze, abseits einer riesigen, verwüsteten Stadt.
    
    Halehaven. Hier bin ich geboren worden, genau wie Sonja auch. Damals, vor all den Jahren...
    
    Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen die Hochhäuser gerade in die Höhe ragten, unberührt, machtvoll, majestätisch über den Einwohnern, die staunend hinaufblickten und sahen, wie das Sonnenlicht sich in den Sicherheitsglasscheiben spiegelte.
    
    Heute stehen die Hochhäuser schief, lehnen sich aneinander an, um nicht zu kollabieren. Ihre Glasfenster sind verstaubt, verdreckt und eingeschlagen, ihre glänzende Macht ist matter Erschöpfung gewichen.
    
    Früher, als wir noch Ressourcen hatten und die Menschen an sich als Herrscher der Welt und an Illusionen wie den amerikanischen Traum oder Gott glaubten, da war Halehaven ein wunderschöner Ort modernster Technologie, eine Großstadt, bereit, einem Abiturienten für ein wenig Arbeit jeden Wunsch zu erfüllen. Früher war das jede Metropole.
    
    Wir wussten eine lange Zeit, dass die Ressourcen nicht ewig reichen würden, ...
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