1. Tesoro


    Datum: 25.04.2019, Kategorien: An– und Ausgezogen, Autor: LaVie

    ... über mich gerollt. Ich streckte mich in alle Richtungen, massierte, was ich massieren konnte, aber nichts passierte. So ein Mist! Der Tag war gelaufen. Ich sollte in meinem Alter keine Partys feiern, sondern auf gemütliche Kochabende unter Freunden ausweichen. Das war wie Sex und ich konnte in meinem Bett schlafen. Andererseits: Das war es wert gewesen. Sex an einer Tischkante hatte nicht jeder und Roberto war ein toller Liebhaber, von seinem Aussehen ganz zu schweigen. Er war nicht der klischeehafte Latin Lover, der seine Frau überall nagelte, wo es ging. Nein, er hatte eine charmante Zurückhaltung gepaart mit Respekt gegenüber seinen Partnerinnen. Ein guter Fang. Ein wirklich guter Fang. Trotzdem spürte ich in mir den Drang, auf die Toilette zu gehen. Also zog ich mein Kleid an und öffnete leise die Tür.
    
    Die Klos in einem Studentenwohnheim zu finden verlangt weniger Orientierungssinn als Erfahrung – sie liegen immer in der Mitte oder ganz hinten. Ich entschied mich für ‚hinten‘ und tapste den Gang entlang. Tatsächlich fand ich irgendwann eine Tür mit einer stilisierten Frau. Ich war gut! Weniger gut war die Einrichtung – matt-goldene Türklinken, orangene Fliesen mit vergilbten Fugen und kaputte Waschbecken. An die Wände der Kabinen hatte jemand Comics und Zeitungsartikel geklebt, sodass ich wenigstens etwas zum Lesen hatte. Nachdem ich mein Werk vollendet hatte, genoss ich den Duft der Sanitär-Seife und die dünnen Papierhandtücher, bevor ich dieses Überbleibsel ...
    ... ostdeutscher Architektur vorläufig verließ. Auf dem Rückweg bekam ich Durst und ging in die Küche, um mir Tee zu kochen. Rotwein war gut, aber nicht morgens um 6. Glücklicherweise war der Wasserkocher nicht so dreckig wie die Toilette, sondern relativ neu. Während das Wasser langsam heißer wurde, suchte ich im Hängeschrank nach einer Tasse, die so aussah, als würde sie niemandem gehören. Von den Exemplaren mit dem Goldrand waren viele da, vermutlich hatte sie jemand von einer Hausauflösung mitgebracht. In den Schubladen entdeckte ich außerdem eine Packung Schwarztee, aus der ich mir mit schlechtem Gewissen einen Beutel nahm. Das i-Tüpfelchen war der Honig, der auf der Arbeitsplatte stand. Fünf Minuten später saß ich auf einem roten Klappstuhl, vor mir die Tasse mit dem aromatischen Getränk. Ich liebte es den Dampf zu beobachten, wie er in bizarren Formen nach oben stieg und verschwand. Warme Tassen waren fast so gut wie Männer, aber leider musste man sie immer nachfüllen.
    
    Plötzlich hörte ich ein Schlurfen. Es hallte durch den Flur und kam in meine Richtung. Ein Typ mit rotblonden Wuschelhaaren betrat wortlos den Raum, holte sich ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser. Mit rot geräderten Augen sah er mich an und fragte:
    
    „Wer bistn du?“
    
    „Ich bin Belle“, antwortete ich, „und ich trinke Tee.“
    
    „Gut“, murmelte der junge Mann und gähnte. „Weitertrinken.“
    
    Dann ging er. Ob er den Ständer in seiner Garfield-Boxer bemerkt hatte?
    
    Während ich darüber nachdachte, was ...
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