1. Ein Leben in Bedrangnis 08


    Datum: 25.06.2019, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byachterlaub

    Der Brief
    
    Ich wollte mich an jenem Tag ins örtliche Freibad aufmachen. Da erwartete mich ein Füllhorn fast nackten weiblichen Fleischs. Vielleicht würde sich daraus mehr ergeben, so hoffte ich jedenfalls.
    
    Mit der Badetasche bepackt stiefelte ich durch den Hausflur. Die Post muss schon da gewesen sein, denke ich im Vorbeilaufen an den Briefkästen, und halte inne. Ein Kontoauszug, die Jahresversicherung Hausrat, überfliege ich, und dann -- ein handgeschriebener Brief. Ich ahne sogleich. Er stammt von Nadine. Unschlüssig verharre ich. Soll ich ihn gleich öffnen oder ihn zunächst zusammen mit den anderen Umschlägen zurück in den Kasten stecken?
    
    Die Neugier siegt, und ich reiße ihn ungeduldig auf. Dieser Brief stammt tatsächlich von Nadine. Ich fragte mich sogleich, wie sie an meine Adresse gekommen sein könnte, sah dann aber den gelben Zettel mit der Nachsendeanschrift auf dem Umschlag. Ich packte ihn also in meine Brieftasche, die anderen Schreiben fanden ihren Weg zurück in den Kasten, und ich ging baden.
    
    An jenem Tag kam mir der Weg dorthin ungewöhnlich lang vor. Denn ich fieberte natürlich, den Inhalt eingehend zu studieren. Im Bad nahm ich mir noch nicht einmal die Zeit, mich abzuduschen oder gar einen geübten Sprung vom Beckenrand ins Wasser zu wagen, sondern fing sogleich an, die Nachricht Nadines zu studieren. Der Inhalt begann damit:
    
    Lieber Denis, ich weiß nicht, ob dich meine Nachricht erreicht. Deine aktuelle Telefonnummer kenne ich ebenso wenig wie ...
    ... deine Adresse. Auch in deinem früheren Haus konnte mir niemand sagen, wohin du gezogen bist.
    
    Das stimmte in der Tat. Ich war schon vor einem knappen Jahr ausgezogen. Meine neue Arbeitsstelle lag nun gut fünfzig Kilometer entfernt. Da ich in der Stadt bleiben wollte, hatte ich mich entschlossen, eine Wohnung in der näheren Umgebung des Hauptbahnhofs zu nehmen, um eine unnötig lange An- und Abreisezeit zu vermeiden.
    
    Ich weiß, dass ich dir viel Schlechtes angetan habe. Wenn ich dich um Verzeihung bitte, genügt das sicher nicht. Eines musst du wissen: alles was ich getan habe, beruhte auf tiefer Liebe zu dir. Nie wollte ich dich verletzen oder gar schädigen. Wenn du schon nicht verzeihen kannst, habe wenigstens Mitleid mit mir. Mir geht es seit unserer Trennung unendlich schlecht.
    
    Von diesen Worten war ich tief betroffen. Ich mochte Nadine immer noch sehr. Es hätte mich betrübt hören zu müssen, dass sie vielleicht körperlich oder seelisch verfällt. Wir hatten schließlich viele schöne Momente erlebt. So las ich weiter.
    
    Ich habe in letzter Zeit viel durchgemacht. Mein Studium musste ich wegen meines Gesundheitszustands unterbrechen. Du wirst mich kaum wieder erkennen. Ich bin dick geworden. Mein Arzt hat mir eine Kur verschrieben. Seitdem hege ich wieder ein wenig Hoffnung. Alles scheint mir so sinnlos. Du bist der einzige, der mich versteht, und der mir die Lebenskraft neu schenken kann.
    
    Diese Zeilen machten mir schon Angst. Ich musste befürchten, es heute mit einer ...
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