1. Spieglein, Spieglein ...


    Datum: 25.08.2019, Kategorien: Sonstige, Autor: Aldebaran66

    ... das Marie mich gesehen hatte. Wirklich peinlich. Auf der anderen Seite war nichts wirklich geschehen. Ich war nicht geschockt und Marie sah auch nicht so aus, als wenn es sie den Rest ihres Lebens verfolgen würde. So gesehen war nicht wirklich etwa passiert.
    
    Weitere Minuten blieb ich sitzen. Doch es tat sich nichts mehr, wurde langweilig. Also verließ ich meinen Beobachtungsposten, schaltete das Licht ein und legte mich hin. Müde war ich und war mir sicher, dass ich schlafen konnte. Dabei hatte ich noch eine ganze Weile die Gesichter der beiden vor Augen und empfand es als sehr hilfreich, dass ich sie so gut verstehen konnte. Dafür hatte sich das intensive Lernen gelohnt.
    
    Mehrere Tage folgten, in denen ich vor dem Spiegel saß. Viele verschiedene Menschen kamen in meinen Blickwinkel und oftmals konnte ich an ihren Gesprächen einen Anteil haben. Dabei lernte ich besser und schneller als zuvor. Etwas wirklich zu hören war ein besserer Unterricht als alles andere, was ich zuvor gemacht hatte.
    
    Soweit ich es mitbekam, ging es wirklich um ein großes Fest, was bald stattfinden sollte. Eines, was es zuvor so noch nicht gegeben hatte. Pompös hätte man es auch übersetzten können. Später bekam ich heraus, dass es um eine Hochzeit ging. Eine der hochgestellten Damen sollte unter die Haube kommen und würde zu einer Gräfin aufsteigen. Wenn ich es mit den alten Adelstiteln verglich, die es auf meiner Seite des Spiegels gab, war das schon was. Inwieweit sich aber die Hierarchie von ...
    ... unserer unterschied, konnte ich nicht sagen.
    
    Was mir bei der ganzen Sache aber am meisten Freude bereitete war, dass Marie und Klara fast jeden Tag vorbei kamen. Sie standen minutenlang vor mir und unterhielten sich über mich. Anders konnte ich es mir nicht vorstellen. Klara war dabei mehr als enttäuscht, dass sie mich niemals zu sehen bekam. Sie musste auf das Vertrauen, was Marie erzählte, auch wenn es sich immer wieder wiederholte. Einmal sah Klara sogar in den Spiegel, hielt ihrer Hände unter ihre hervorstehenden Brüste, hob sie noch etwas höher an und meinte mit einer gedämpften Stimme: "Na unbekannter Mann hinter dem Spiegel, gefällt euch, was ihr seht?" Dabei formte sie einen Kussmund und ich hörte das bekannte Geräusch, das ein Kuss bildete.
    
    Dabei blieb ihr Gesichtsausdruck einen Moment vollkommen starr, doch dann lachte sie auf einmal los und sah Marie an. "Eigentlich solltest du ihm auch mal etwas bieten. Immerhin hast du ihn ja auch gesehen. Es würde ihn sicher freuen!"
    
    Marie stellte sich neben Klara, sah aber schüchtern geradeaus und ich konnte an ihren Augen erkennen, dass diese nach mir suchten. Sie wanderten von einer Seite zur anderen, blieben aber auf keinem Punkt haften. Selbst als ich jetzt einen Arm hob und damit winkte, war es für sie nicht zu erkennen. Ihre Augen hätten sonst den Arm fixiert.
    
    Auf einmal kam mir ein seltsamer Gedanke. Wenn ich sie hören konnte, wie war es anders herum. Bis jetzt war ich immer vollkommen still gewesen, hatte nur ...
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