1. Erinnerungen 03


    Datum: 09.09.2019, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: byErelyn

    ... waren über die Zeit bequem und dekadent geworden, sodass diese keinen Grund sahen, dieses Leben für einen Aufstand aufzugeben. Früher oder später würde dieses auf Bestechung und Unterdrückung fußende System höchstwahrscheinlich in sich zusammenfallen. Bis dahin jedoch führte König Luarek das Leben eines Kaisers.
    
    In den wenigen Stunden, die sie gestern vor Sonnenuntergang gehabt hatte, hatte sie immerhin erfahren, dass man heute bei seinen Verwaltern vorsprechen konnte. Der erste Teil der Warnungen, die ihr jeder gegeben hatte, war vollkommen gerechtfertigt gewesen: Um den Eingang zum Büro hatte sich eine Traube von über 100 Menschen versammelt, die drei Wachen unternahmen nicht einmal den Versuch, für Ordnung zu sorgen. Immer, wenn der kahlköpfige Junge die Tür öffnete -- mehr hatte sie von dem Assistenten bisher noch nicht sehen können -- wurde der Erste, der es hindurch schaffte, vorgelassen.
    
    Inwieweit dies damit zusammenhing, dass sie über die gesamten vier Stunden, die sie nun schon hier wartete, noch nie ein glückliches Gesicht der Bittsteller gesehen hatte, die das Büro des Verwalters wieder verließen, ließ sich nur vermuten. Es bestätigte aber die zweite Warnung, die sie von einer der lächelnden Wachen beim Betreten der Stadt erhalten hatte: Zu einer Audienz beim König vorgelassen zu werden war beinahe so unwahrscheinlich, wie beim Umgraben eines Ackers einen Beutel voller Gold zu finden. Oder so wahrscheinlich, wie ein blutroter Vogel -- offensichtlich ...
    ... hatte er über Krieg bisher nur in Büchern gelesen. Sie wünschte sich für ihn, dass es so blieb, ihre Augen hatten bereits zu viel gesehen, als es jemals wieder vergessen zu können. Gerade das machte die Sache nicht unbedingt einfacherer. Zwar hatte sie in ihrer Ausbildung gelernt, sich im Zweifel den nötigen Respekt zu verschaffen, aber die Dinge in einer Stadt wie dieser hatte sich in den letzten fünfhundert Jahren nicht geändert und würde es auch in den nächsten fünfhundert nicht tun: Eine Frau, die sich zur Wehr setzte, war entweder so arm, dass ihr nichts anderes übrig blieb, eine Hure, einfach nur verrückt oder alles zusammen. Sollte eine der Wachen auf die Idee kommen, sie könnte darunter fallen, war ihre Reise beendet. Nicht, dass in den letzten Minuten sich einer davon überhaupt bewegt hätte, aber eine unschöne Überraschung so kurz vor dem Ziel war nun wirklich nicht das, wonach sie sich sehnte. Demnach blieb nichts Anderes übrig, als zu warten.
    
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    „He, Weib! Was willst du hier? Das hier ist kein Ort für Frauen!"
    
    Natürlich hatte er sie gemeint. Sie war weit und breit die Einzige, da brachte es auch nichts, dass sie ihre normalerweise über die Schulter fallenden Haare zusammengebunden und unter der Kapuze versteckt hatte. Das Gewand fiel zwar bewusst großzügig aus, sodass sie auf einen schnellen Blick durchaus als Mann durchging. Leider nur, solange man ihr Gesicht nicht betrachtete.
    
    Die Narben aus den Tagen auf den Schlachtfeldern vermochten nicht die ...
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