Erinnerungen 03
Datum: 09.09.2019,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie
Autor: byErelyn
... Menschen zu sein, beziehungsweise im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu stehen. Wäre Quinn nicht da gewesen, sie würde seit heute Nachmittag erschöpft am Boden liegen. Sie fühlte sich klein, hilflos.
Die Bestattung der Verstorbenen war außer Kontrolle geraten. Sie hatte mitbekommen, wie Quinn verzweifelt versucht hatte, die sich anbahnende Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern zu schlichten. Er hatte immerhin so weit Erfolg gehabt, dass die Meisten eingesehen hatten, dass noch mehr Verletzten niemandem halfen.
Während der letzten Stunden hatte sie geistesabwesend dagestanden, das Letzte, an das sie sich klar erinnern konnte, waren flammende Worte aus ihrem Mund. Ein sinnloser Versuch, etwas beizutragen, sich nicht wie schon den ganzen Tag vollkommen machtlos zu fühlen. Die Versorgung der Kranken hatte Erinnerungen wachgerufen, hatte ihr um einiges mehr abverlangt, als sie selbst Quinn gegenüber zugeben wollte. Es hatte keinen Sinn gehabt, etwas vor ihm verstecken zu wollen, dennoch hatte sie sich nicht dazu durchringen können, die eigene Schwäche zu gestehen.
Schwäche war ein Gefühl, was seit ihrer Kindheit verboten war. Sie waren ein starkes Volk, die Gemeinschaft der Frauen sollte die Macht haben, selbst die Sterne vom Himmel zu holen, sollte es notwendig sein. Stärke und Furchtlosigkeit waren die Lehren gewesen, nur die Kinder hatten das Recht zu weinen. Wer als erwachsen gelten wollte, weinte nicht. Selbst dann nicht, wenn die beste Freundin verletzt wurde. ...
... Die letzte echte Träne hatte sie mit neun vergossen. Seitdem stellte sich mit erhobenem Haupt der ihr auferlegten Prüfung. Stärke zeigen, hatte man ihr beigebracht. Den eigenen Stolz niemals vergessen.
Irgendwie war sie wieder in das Zimmer gekommen, das sie bei ihrer Ankunft bezogen hatte. Neben sich hörte sie den gleichmäßig gehenden Atem von Quinn. Dumpf erinnerte sie sich daran, die wenigen Schritte über den Dorfplatz zu laufen. Für eine Sekunde tauchte ein Bild auf: Nicht enden wollenden Bilder vor ihren Augen von im Wundfieber liegenden Menschen, die innerhalb der nächsten Stunde die Welt der Lebenden verlassen würden.
Die Szenerie wurde zum Film. Ein einziges Bild, eine einzige Sekunde, immer und immer wieder. Das Gefühl der Vernichtung ließ sie nicht los: Die erste Nacht in der sie völlig alleine gewesen war, nach der endgültigen Schlacht. Damals hatte sie aus der Ferne das Feuer für die Toten sehen können. Zwar konnte sie nichts Genaueres erkennen, vor ihrem Auge tanzten jedoch Bilder von verstümmelten und zerstückelten Körperteilen, die einmal einem Menschen gehört hatten. Wie wertloses Brennholz ins Feuer geworfen wurden, um ihren Gestank nicht ertragen zu müssen. Allein der Gedanke verursachte noch immer Übelkeit. Sie hatte lange gebraucht, nicht mehr jede Stunde in der Nacht aufzuwachen. Nun war alles mit einem Schlag wieder da, als wäre es gerade eben erst passiert.
Hämmernde Kopfschmerzen, wie betäubt blickte sie durch das Fenster in die Dämmerung der ...