1. Wenn die Nachtigall erwacht 19


    Datum: 13.09.2019, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: by_Faith_

    Es wurde Sommer auf der Nordhalbkugel. V'nyx der IV. lag reglos auf dem Grund des Pazifiks. Seine Tentakel waren von losem Meeresboden bedeckt. Die ehemals so strahlend orangenfarbenen Blüten hatten eine granitgraue Farbe angenommen, als wären sie tot und in einem fortgeschrittenen Verwesungsstadium. Selbst bei genauer Suche war er in diesem Zustand nicht vom Meeresgrund zu unterscheiden. Aber V'nyx der IV. wollte auch nicht gesehen werden, er wollte seine Ruhe haben, um zuhören zu können.
    
    Hier, an der Ostküste von Oahu, einer zur Hawaiigruppe gehörenden Insel, war einer der datentechnischen Knotenpunkte des Planeten. An dieser Insel kreuzten sich Glasfaserkabel, aus Japan, China und Australien sowie Nord- und Südamerika. Er musste einfach nur ruhig liegen bleiben und den Signalströmen lauschen, die seine weitverzweigten Tentakel aufsogen. Es war mühsam gewesen, die mehrlagigen Schutzschichten der Seekabel zu durchdringen, aber tief im Inneren dieser Kabel zuckten jede Sekunde Milliarden von Lichtblitzen. Wenn man diese Lichtblitze in der richtigen Reihenfolge las, waren darin Unmengen an Informationen enthalten. Dieser Informationen schossen durch ein Kilometerlanges Netzwerk aus Tentakeln, wurden unterwegs vorsortiert, aufbereitet und in seinem Wurzelstock verarbeitet.
    
    Für V'nyx den IV. waren Tag und Nacht nur noch abstrakte Bezeichnungen, die in seinem Lebensraum, der ewig dunkel war, keine Rolle mehr spielten. Er analysierte in jeder Sekunde Milliarden ...
    ... Datenpakete nach interessanten Inhalten und spielte wie ein geübter Jongleur mit verschiedenen Verschlüsselungsalgorithmen, um auch die codierten Nachrichten sichten zu können.
    
    Zur Freude der Königin hatten sich die Finanzmärkte auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Nachdem sich Miriam in ihrer Videobotschaft der Weltöffentlichkeit offenbart hatte, waren die Börsenkurse steil abgefallen. Es reichten ein paar Gerüchte vom nahenden Weltuntergang, um milliardenschwere Konzerne auf dem Papier zu vernichten. Kurz nach Weihnachten, als die Menschen erkannten, dass die Welt wohl doch nicht so bald untergehen würde, obwohl sie diesen Planeten mit einer weiteren Intelligenten Spezies teilen mussten, stoppte die Talfahrt der Börsenkurse.
    
    Da sich für den überwältigenden Teil der Menschheit nichts geändert hatte, fragten sich die einfachen Leute, was die ganze Aufregung sollte. Nach dem Jahreswechsel war wieder ein leichter Aufwärtstrend an den Finanzmärkten zu erkennen. Nun war es Frühsommer und die Gewinne zogen langsam aber beständig an, obwohl die Experten mit einem viel schlimmeren Verlauf gerechnet hatten.
    
    V'nyx der IV. und die anderen Cerebrate seiner Stammlinie erkannten, dass Währungen wie ein virtueller Lebenssaft waren, den die Menschen haben wollten - je mehr desto besser. Und dieser substanzlose Saft floss in gigantischen Mengen durch die Glasfasernetze dieses Planeten. Mit dem Wissen, das die V'nyx-Stammlinie täglich sammelte, war es eine Leichtigkeit, die Logik des ...
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