1. Edwina heiratet "traditionell"


    Datum: 17.12.2019, Kategorien: CMNF Autor: Cove

    Eine mittelgrosse ältere Kirche irgendwo auf dem Land in Baden-Württemberg. Der Hochzeitsmarsch erklingt. Die zahlreichen Hochzeitsgäste erheben sich und Edwina Spezzagutti wird von ihrem Papa durch den Mittelgang nach vorne geführt. Dort wartet bereit ihr Bräutigam Bruno Nozzi. Edwina trägt ein schönes weisses Brautkleid, was zu Getuschel unter den Gästen führt. Edwinas Papa übergibt seine Tochter dem Bräutigam und setzt sich zu seiner Frau in die zweite Reihe. Der Heiratsgottesdienst nimmt seinen gewohnten Verlauf. Auch der Pfarrer, Antonio Sorgio, trägt einen italienischen Namen. Die Trauung erfolgt jedoch auf deutsch, denn beide Brautleute, der Pfarrer und viele Gäste, sofern sie nicht Freunde des Brautpaars ohne italienische Wurzeln sind, gehören der zweiten, dritten oder gar vierten Generation von italienischen Einwanderern an, haben längst, zum Teil seit der Geburt, den deutschen Pass und sprechen einwandfrei deutsch sowie italienisch nur mit deutlichem Akzent. Aber die ehemals heimatlichen Bande haben sich über Jahrzehnte und Generationen gehalten. Viele der Anwesenden haben Verwandte in derselben Gebirgsgegend Süditaliens und begegnen sich manchmal unverhofft in den Ferien. Das alles wirkt sich auf die Partnersuche aus.
    
    Der Tradition entsprechend fragt der Pfarrer die Gemeinde, ob jemand Gründe kenne, weshalb Edwina und Bruno nicht heiraten sollen. Wenn ja, so soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen. Im hinteren Drittel des Kirchenschiffs steht ein ...
    ... Mann auf. Edwina erschrickt. Es ist dies Eugenio Bardi, mit welchem sie vor noch nicht allzu langer Zeit ein Liebespaar bildete und den sie verlassen hatte. Sie weiss, dass Eugenio darüber nie wirklich hinweggekommen ist. Eugenio teilt der Gemeinde mit lauter, deutlicher Stimme mit, dass Bruno eine Bedenkfrist eingeräumt werden sollte, denn Edwina trage zu Unrecht das weisse Kleid der Reinheit, sie sei unrein, habe schon etliche intime Freundschaften unterhalten, zum Teil sogar mehrere gleichzeitig, und ehrliche Männer verlassen, wenn ihr wieder nach neuen erotischen Abenteuer zumute gewesen sei. Sie sei untreu.
    
    Edwina weiss, dass sie ein Risiko einging, als sie sich für das weisse Brautkleid entschied. Doch sie vertraute darauf, dass die Hochzeit in Deutschland und nicht in einem verrückt-traditionsbewussten süditalienischen Bergdorf stattfindet, ganz abgesehen davon, dass es heute auch in einem solchen Bergdorf unüblich ist, dass ein Hochzeitsgast die Braut öffentlich während des Gottesdienstes anschwärzt. Allerdings ist es nun innert zweier Jahre das dritte Mal, dass Edwina erlebt, wie sich jemand auf die traditionelle Frage des Pfarrers meldet und den Lebenswandel der Braut bemängelt. Von den beiden früheren Malen, deren Zeugin Edwina als Hochzeitsgast wurde, weiss sie, was jetzt folgen wird.
    
    Es wäre nun Sache des Bräutigams Bruno gewesen, seine Hand auf Edwinas Schulter zu legen und damit zu zeigen, dass er sich auch durch Eugenios Intervention nicht von einer ...
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