1. Tor


    Datum: 31.12.2019, Kategorien: Schwule Autor: byhollaho

    Bengel
    
    Ich bin kaum eingestiegen, da verzieht eine Importkartoffel das Gesicht. Vermutlich will er sich vor seinen beiden Kumpeln dick tun, denn er ätzt, wohl in Anspielung auf die Farbe meines Hemdes:
    
    „Bist du schwul?" -- „Wieso? Interesse?"
    
    Seine drei Hirnzellen brauchen einen Moment, um die Antwort sacken zu lassen, dann geht er auf mich los. Ich heb die Arme wie zur Abwehr und trete ihm dabei unters Knie. Er knickt weg wie ein Veganer in der Fleischfabrik. Seine Kumpel machen keinen Mucks, und ich beug' mich über den winselnden Dödel:
    
    „Alles eine Frage des Respekts. Stößchen", simuliere ich ein tuntiges Glasheben. Sicherheitshalber steige ich an der nächsten Haltestelle aus. Die zu erwartende Gratulations-Cour von einem herbeigesimsten, weiteren Dutzend Guckst-Du erspar ich mir lieber.
    
    Ein Junge dackelt mir hinterher: „Coole Nummer."
    
    „Ich geh da vorne in die Schule", ergänzt er, als würde das erklären, warum er mich hier von der Seite anhaut. Ich schaue kurz zum Schillergymnasium. Aus irgendeinem Grund -- ist es das schüchterne Lächeln? -- verkneife mir ich ein „Dann aber husch ins Körbchen!", sondern warte seine nächste Bemerkung ab.
    
    „Wollen wir dort drüben einen Kaffee trinken?"
    
    „Ich lad Sie ein", fügt er hastig hinzu.
    
    Was will das Jungchen? Er wirkt stinknormal, ohne verdächtigen Tonfall oder entlarvende Gestik, sieht aber weitaus hübscher aus als der Durchschnitt seiner Generation. Anscheinend hat der kleine Kulturclash eben eine Tür bei ...
    ... ihm geöffnet -- zu welchem Ort auch immer.
    
    Sein Lächeln gewinnt. Ob ich jetzt oder erst später die Karten zum anstehenden Derby abhole, spielt ohnehin keine Rolle.
    
    Der Kaffee ist prima, dito das Frühstück -- zu dem dann doch ich IHN einlade --, die Sonne lacht durch das große Fenster, an dem wir sitzen und vor dem entspannte Leute entlang schlendern, unsere Bedienung ist so niedlich wie freundlich, ich habe ein paar Tage frei, was könnte diesen Tag noch besser machen? Der Junge spachtelt mit sichtlichem Appetit und quatscht munter drauf los. Er ist U19-Auswahlspieler und Düsseldorf-Fan. Mein neuer Lieblingsteen! Wenn er ein spezielles Anliegen haben sollte, scheint es erst mal auf Eis zu liegen. Ist mir ohnehin schleierhaft, warum meine „Integrationsbemühungen" ihm das Gefühl vermittelt haben sollten, damit ausgerechnet bei mir an der richtigen Adresse zu sein.
    
    „Jetzt hätte ich Mathe. Lineare Algebra. Matrizen. Was ein Scheiß", grinst er. Bisher ist er mit keinem Wort rausgerückt, ob oder wo ihn der Schuh drückt. Wenn da überhaupt etwas ist.
    
    Zu meiner eigenen Überraschung registriere ich Bewegung in meiner Hose. Der unaufdringliche Charme des Jungen rührt bei mir ans Eingemachte. Die Verlegenheit in seinem Lächeln, wenn wir uns zu lange in die Augen schauen.
    
    Vor einigen Jahren ist meine Frau ums Leben gekommen, und ich wollte nie, so spießig es auch klingen mag, die Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit durch eine neue Liaison oder billige Bumsgeschichten mit ...
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