1. Teach In


    Datum: 20.05.2020, Kategorien: CMNF Autor: LaVie

    ... wissen warum. Ich kann fühlen, wie er von meinem Haar über die Schultern meine Wirbelsäule hinabgleitet, bei meiner Hüfte verweilt und bei meinen Füßen endet. Wie ein Schatten scheint er hinter mir zu stehen, in mich einzudringen, mit mir zu verschmelzen, damit er jeden Fehler sofort bemerkt. Mein Herz klopft. Ich habe Angst und muss weitergehen - jede Pause macht die Gefahr noch größer.
    
    "Wissen Sie, Fräulein Weise", höre ich seine Stimme, "Macht hat nichts mit einer Tatsache zu tun, sondern Anerkennung. Sie erfordert die Zustimmung des anderen, damit sie existiert. Ansonsten verpufft sie. Herr Nockerl wusste um Ihre Macht und hat sie anerkannt, indem er Ihnen entgegentrat. Sie haben das nicht gesehen. Der Beweis war nicht klar genug. Sie wollten, dass er es sagt. Fräulein Weise, Sie sind eine Rebellin. Sie sind eine Rebellin, weil Sie ständig Macht suchen, aber nicht bemerken, dass sie da ist. Sie existieren nur durch Bewegung, durch Unterschiede. Und wissen nicht, was sie am Ende des Weges mit der Belohnung anfangen sollen. Was hätten Sie gemacht, wenn Herr Nockerl Ihnen zugestanden hätte, dass Sie recht haben?"
    
    Ich zögere. Zu schreiben und seinen Gedanken zu folgen ist nicht einfach. Ich wollte recht haben, aber keine Macht! Was habe ich davon, wenn mir ein Dummkopf zustimmt?
    
    "Ich denke, ich hätte mich gefreut", erkläre ich schließlich.
    
    "Und wie lange hätten Sie so gefühlt?", fragt er.
    
    "Nicht lange", überlege ich. "Er ist es nicht wert, dass ich wegen ihm ...
    ... große Emotionen habe"
    
    "Aber ihn zu beschimpfen fühlte sich gut an?", bohrt er weiter.
    
    "Ja, tat es.", erkläre ich.
    
    "Und wie lange?", will er wissen.
    
    "Fünf Minuten?", antworte ich. Leider stehe ich seit 30 min hier und freue mich nicht.
    
    "Sie haben also genauso viel Freude empfunden, wenn Sie ihn beleidigen, als wenn Sie ihn vor sich winseln lassen. Es gibt nur einen Unterschied: Wenn er winselt, gesteht er Ihnen Macht zu. Wenn Sie ihn beleidigen, nehmen Sie sie sich. Das macht Sie gefährlich. Sie wollen immer mehr und überhitzen wie ein Motor ohne Kühlung. Irgendwann, Fräulein Weise, sind Sie für die Gesellschaft nutzlos, weil Ihnen Ihre eigenen Interessen wichtiger sind als die der Gemeinschaft."
    
    "Die Gemeinschaft ist mir nicht wichtig!", sage ich scharf.
    
    "Und warum kleiden Sie sich so wie sie?", fragt er ruhig.
    
    "Das tue ich nicht!", erwidere ich. "Die Shorts trage ich, weil es warm ist und das Shirt, weil es gut aussieht!"
    
    "Sie könnten auch in einem bunten Rock zur Schule kommen. Oder eine Toga tragen"
    
    "Könnte ich.", wende ich ein.
    
    "Aber Sie tun es nicht. Niemand ist von der Gemeinschaft unabhängig. Und genau dieser Konflikt bestimmt unser Handeln - wir wollen ständig unabhängig sein und gleichzeitig ein Teil der Gruppe, weil wir nur in der Gruppe unsere Macht beweisen können. Ohne Zuschauer ist unsere One-Man-Show nutzlos."
    
    "Und warum erklären Sie mir das?", frage ich genervt. Zuerst erteilt er mir eine Strafaufgabe und dann lenkt er mich ...
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