1. Wer sich in Gefahr begibt . . .


    Datum: 01.06.2020, Kategorien: Betagt, Autor: bynachtaktiv

    ... lang gezogenes "Äh", mehr nicht.
    
    "Schön", sage ich und mache eine elegante Kehrwende.
    
    Wir sitzen am Tisch und schauen Sven an, der sich kaum traut die Hand nach irgend etwas auszustrecken. Viel fehlt nicht und wir müßten ihn füttern. Süß sieht er aus, der hochgeschossene Schlacks. Seine dunkelblonden Haare stehen wuschelig vom Kopf ab. Für einen Mann hat er erstaunlich lange und schön geschwungene Wimpern. Der dezente Bartschatten verleiht ihm einen Hauch von animalischer Wildheit. Aber so gar nicht dazu passen will seine Schüchternheit.
    
    "Äh, Frau Winter", setzt er mit dünnem Stimmchen an. "Ich wollte Sie noch um einen Gefallen bitten."
    
    "Welche Frau Winter meinen Sie denn?", unterbricht Susanne meinen Sekundentraum. "Doreen oder mich?"
    
    Mit einem scharfen Blick bringe ich die Spitzbrüstige zum Schweigen.
    
    "Wie du siehst haben wir da ein kleines Problem, Sven. Vielleicht sollten wir uns alle mit dem Vornamen ansprechen. Dann gibt es auch keine Verwechselungen. Also, ich bin Doreen und das da", ich wedele mit der Hand in Susannes Richtung, "ist Susanne." Böser Blick ihrerseits. Ich sehe wie sich Sven windet. Noch traut er sich nicht. "Aber was wolltest du noch sagen?"
    
    "Äh, ja. Ich müßte noch ein paar Dinge einkaufen und da könnten Sie mir vielleicht erklären, wie ich zum nächsten Discounter komme." Sven ist sichtlich stolz über seine lange Rede. "Aber natürlich nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht."
    
    Ich schüttle heftig mit dem Kopf. Der Knoten ...
    ... löst sich und das Handtuch rutscht meine Schultern hinunter. Mist! Ich schaue Sven an, der wiederum mich anschaut, wie ich meine Haare zurückstecke. "Kein Problem, Sven. Ich habe den ganzen Tag für dich Zeit. Susanne muß den ganzen Tag arbeiten und ich habe sowieso noch einiges zu erledigen. Wenn du willst, können wir das zusammen erledigen."
    
    Susannes Blick ist tödlich.
    
    "Ich kann dir dann alles zeigen."
    
    "Das wäre echt supernett." Sven steht auf. "Ich warte solange oben." Und schon ist er verschwunden.
    
    Susanne schaut mich wie eine Schlange an, die gerade eine Maus in Freßweite entdeckt hat. "Peinlich!", sagt sie. Und dann: "Du benimmst dich einfach schamlos!"
    
    "Der frühe Vogel fängt den Wurm", kichere ich und schiebe meinen Stuhl zurück. "Heute bist du dran mit abräumen", grinse ich. Dann laufe ich beschwingten Schrittes hoch in meinem Schlafzimmer.
    
    *
    
    Wir sitzen in meinem Wagen und Sven schaut interessiert aus dem Fenster. Der junge Mann an meiner Seite macht mich ein wenig nervös. Im letzten Moment sehe ich die rote Ampel, trete das Bremspedal heftiger durch als nötig.
    
    "Ups!"
    
    Sven lächelt mich nachsichtig an und ich kann förmlich seine Gedanken lesen. Die Klimaanlage pustet kühle Luft unter meinen Rock. Und das ist gut so.
    
    Vor dem Supermarkt lösen wir zwei Einkaufswagen und warten einen Sekundenbruchteil, bis die Schiebetüren aufgefahren sind. Während ich sofort anfange meinen Wagen zu beladen, zieht Sven einen kleinen Block aus der Tasche. ...
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