1. Das Gespräch


    Datum: 21.12.2020, Kategorien: Sonstige, Autor: phantasy_writer

    Endlich kommt der Zug an. Wir haben Verspätung, und zwar nicht zu knapp. Ich werde meinen An­schlusszug verpassen, soviel ist sicher. Der Bahnhof, an dem ich umsteigen muss, ist der einer ver­schlafenen Kleinstadt und so sieht er auch aus; man merkt deutlich, hier ist die Zeit stehen geblie­ben. An einem Nachmittag im Spätsommer wie diesem ist die Bahnhofshalle so gut wie leer und das einzige, was hier zu einer Bewegung im Stande zu sein scheint, ist der Zeiger der Bahnhofsuhr... tick... tack... Ich sehe mich um und entdecke die Fahrplananzeige. Ein kurzer Blick genügt und bestätigt mir, dass mein Anschlusszug tatsächlich seit kurzem fort ist. Ich suche im Aushangfahrplan nach dem nächsten und muss feststellen, dass der erst in 3 Stunden geht. Ich beschließe, die triste Bahnhofshalle zu verlassen und irgendwo draußen zu warten. Direkt vor dem Bahnhof befindet sich ein kleiner Park; ich denke, dass es ein gute Idee ist, mir eine Bank zu suchen und die nächsten 3 Stunden dort zu verbringen. Auch hier ist es menschenleer; an einem so schönen Tag verirrt sich niemand, der bei Verstand ist, in den Bahnhofspark. Die Bewohner dieser Stadt liegen mit ziemlicher Sicherheit am See oder feiern Grillparties in ihren Vorgärten.
    
    Ich steuere auf die einzige Bank zu, die im Schatten liegt und setze mich. Ich sehe durch die flirren­de Luft zum Bahnhofsgebäude und hänge meinen Gedanken nach. Nach einer Weile bemerke ich ein paar Leute, die den Bahnhof verlassen - scheinbar ist gerade der ...
    ... nächste Zug angekommen. Zwei Jugendliche mit Sporttaschen entfernen sich zügig Richtung Stadt und ein Grüppchen Rentner bewegt sich zur Bushaltestelle. Und dann ist da noch eine junge Frau, die sich unschlüssig umsieht und dann langsam Richtung Park steuert, genau auf meine Bank zu. Ich mustere sie ein wenig ge­nauer. Sie ist vielleicht 30, mit langen blonden Haaren und sieht eigentlich ziemlich sexy aus. Sie bleibt kurz stehen und sieht sich um, ein kurzer Blick nach rechts, dann links. Dann kommt sie schnurstracks auf mich zu. "Hi - kann ich mich zu dir setzen?", fragt sie, als sie vor mir steht. Ich bejahe und mache ihr Platz. "Hast du auch deinen Zug verpasst?" will ich wissen. "Ja, zum kotzen ist das mit der Bahn" sagt sie mit finsterem Blick. Sie holt ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Hand­tasche und hält mir die Packung hin. "Nee, aufgehört - aber Danke" sage ich lächelnd. Sie zündet sich eine an und inhaliert ein paarmal tief. Eine Weile lang sagt keiner von uns etwas. Schließlich sieht sie mich mit schiefem Grinsen an. "Ich komm zu spät zu meiner Scheidung".
    
    "Oh!" sage ich nur und sehe offenbar ein wenig perplex aus. "Halb so wild", sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung, "das ist jetzt der dritte Termin; die letzten beiden Male kam er nicht, dann steht's jetzt zwei zu eins". Wieder schweigen wir eine Weile, während sie ihre Zigarette zu Ende raucht. Dann lächelt sie und fragt: "Was ist mit deiner Frau?" Ich fühle mich etwas über­rumpelt. "Wie kommst du ...
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