1. Das Lied ohne Sprache


    Datum: 10.01.2021, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: byBleeding_Heart

    ... hatte verloren und war von einer Zauberin verprügelt worden, ohne, dass diese ihre eigentlichen Fähigkeiten verwendete.
    
    Das letzte, woran er sich bis zu jenem süßen Erwachen erinnern sollte, war das Knacken von trockenen Ästen, das erklang, als zarte Mädchenhände sein Schienbein umfassten und ihm den Fuß um die eigene Achse drehten.
    
    Und nun hing er an einer Kette von der Decke herab, über sich Holz, unter sich Blut, und vor sich in einiger Entfernung, eine hölzerne Wand. Verfolgte man diese Wand nach rechts, so fand man eine Ecke, in der seine Kleidung und seine beiden Schwerter lagen. Und in der Wand, die durch diese Ecke mit der Wand vor ihm verbunden war, eine geöffnete Tür.
    
    Eine Tür, geöffnet, um die Sonnenstrahlen hereinzulassen. Die Sonnenstrahlen, den kühlen Wind, das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen.
    
    Seine überentwickelten Ohren hörten alles. Sie hörten nicht nur das Zwitschern und Zirpen, sondern auch, wie der Wind durch die Weizenfelder strich. Wie sich die Grashalme unter ihm beugten, tanzten, sich in einem raschen, unsteten Takt bewegten.
    
    Und auch, wie die nackten Füße einer humanoiden Gestalt durch die Halme schritt, einzelne unter sich zerquetschten, bis sie an der Tür angekommen waren.
    
    „Ah, du bist also endlich wach, Hexer."
    
    Die helle, freundliche Stimme. Der Geruch nach Weizenfeldern, nach Himbeere und Nelke, nach Orange und Kiefernharz. Die kleine Gestalt, gekleidet in einen kurzen Unterrock und eine weiße Bluse, die so ...
    ... freundlich lächelte wie am ersten Tag.
    
    Damals war es kalter Winter und ihre Wangen rot gewesen, da sie keinen Zauber gewirkt hatte, um sich vor dem Schnee zu schützen, anders als alle anderen ihrer Kolleginnen. Damals hatte sie gesagt, ohne die Kälte wäre es kein Winter.
    
    Sie waren gemeinsam unterwegs gewesen. Sie, er, die anderen Zauberinnen und Zauberer, seine zwei Hexerkollegen, die Politiker, die Spione, die Soldaten. Viele Wochen waren sie gereist, hatten gearbeitet.
    
    „Ich sehe, deine Wunden sind noch nicht alle geschlossen."
    
    Dann hatten sie endlich erreicht, was sie hatten erreichen wollen. Schon damals hatte Rivaell Interesse an ihr gehabt, und in einer Nacht hatten sie sich geliebt. Ihm waren die Narben aufgefallen, die Narben an ihrem Becken und Bauch, aber er hatte nicht gewusst, was sie bedeuteten, als sie vom Lagerfeuer beleuchtet wurden, während sie langsam auf ihm auf- und abglitt.
    
    Jetzt wusste er es.
    
    „Wie gehts dem Bein?"
    
    Auf dem Fest hatten sie sich noch bestens unterhalten. Sie alle hatten sich bestens unterhalten. Doch als der Abend sich dem Ende neigte, da gab es plötzlich Leichen. Leichen über Leichen, und auch seine beiden Freunde, die Hexer Feris und Kallak, waren von den Flammen aus dem Stabe Carahiers getroffen und getötet worden. Er hatte nur ihre Hexermedaillons mitnehmen können.
    
    Er und die anderen, die nicht mit dem Verrat gerechnet hatten, waren in der Unterzahl, und er konnte das Mädchen, dass sie alle zusammen gesucht hatten, ...
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