1. Nacht des Studiums


    Datum: 14.01.2021, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: byJusi

    Die Sonne war längst unter gegangen und die Straßen der Hauptstadt der Menschen, Sturmwind, waren dunkel und ausgestorben. Jeder ehrliche Bürger und jede ehrliche Bürgerin lagen bereits seit Stunden sicher und warm in ihren Betten. Bis auf ein Fenster waren alle Fenster auf der Östlichen Markt-Kanal-Straße dunkel. Jenes eine Fenster, in dem noch das schummrige Licht einer einzelnen Kerze brannte, gehörte zum Blumenladen von Liselle Schneider, der Floristin.
    
    In jenem Zimmer, dem Schlafzimmer, in dem Liselle schon längst schlief, saß Dellaya Alexston noch immer über ihren Büchern. Sie studierte schon, seit sie von ihrem Unterricht beim Pater zurückgekommen war. Sie hatte alles zu lernen, was es über den scharlachroten Kreuzzug, die Argentumdämmerung und den Orden der silbernen Hand zu wissen gibt. Jeder von ihnen war ein - mehr oder weniger - militanter Orden der Kirche des Lichts. Dellaya war erst siebzehn Winter alt, aber sie wusste, dass sie Priesterin werden würde. Es hatte nur zum Teil etwas damit zu tun, dass sie ein bisschen vernarrt in ihren Mentor, den Pater, war.
    
    Dellaya war zierlich, nicht sonderlich groß und auch nicht üppig. Obwohl sie sich selbst eher nicht so sah, war sie doch hübsch mit ihrer Stubsnase und den langen, blonden Haaren, die ihr bis über die Hüfte hingen, und sie hätte, wenn sie es darauf angelegt hätte, sicher spielend einen Mann gefunden. Doch seit dem Tod ihrer Eltern, die von Banditen auf ihrem Hof in Westfall ermordet wurden, war ...
    ... Dellaya noch schüchterner als zuvor. Sie sprach selten mit Fremden und war eigentlich nur zu Lis offen. Außerdem hatte die junge Frau fürchterliche Angst vor dem Geschlechtsverkehr, was ihr auch ein wenig peinlich war. Eine Priesterin zu werden konnte ihr also auch in dieser Beziehung helfen, denn Priesterinnen und Priester mussten keusch sein.
    
    Müde blinzelte Dellaya und rieb sich die Augen. Sie sollte ins Bett gehen und dem Pater morgen sagen, dass sie es nicht geschafft hatte alles zu lernen. Obwohl ihm das sicherlich nicht gefallen würde. Resigniert stieß Dellaya einen Seufzer aus. Es würde ja doch kein Weg daran vorbeiführen. Grade wollte sie sich wieder auf ihre Studien konzentrieren, als sich die Tür zum Schlafzimmer öffnete und ein älterer Herr mit Soutane und einem schweren Buch am Gürtel eintrat. "Pater!", keuchte Dellaya und blickte den Kirchenmann ungläubig an. Rasch senkte sie den Kopf. "W-warum kommt ihr zu solch später Stunde her? Und wer hat euch eingelassen?" Pater Silbersee kam mit weiten Schritten auf sie zu. "Es war mir ein Bedürfnis zu sehen, wie die Studien meines Mündels vorangehen.", sprach er mit würdevoller Stimme und sah auf die Seiten der aufgeschlagenen Bücher. Dellaya stockte kurz und runzelte die Stirn. Weshalb sollte er deshalb um diese Zeit herkommen? Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Der Pater brauchte keine Begründung. Er konnte tun, was auch immer er wollte. "I-ich komme ganz gut voran, Pater.", stotterte sie. "Bis morgen w-werde ich ...
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