1. Wenn die Nachtigall erwacht 03


    Datum: 29.05.2021, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: by_Faith_

    ... Ein Kellner hob mahnend den Finger und hoffte, den Fauxpas durch dezente Gesten zu beenden. Er verharrte stumm in der Bewegung, als ihn klare grüne Augen fixierten.
    
    »Küss mich!«, sagte Miriam zu Sven, ohne den wachsamen Blick vom Kellner abzuwenden. Sven zögerte: Bis jetzt war er Beobachter, der Kuss würde ihn in die Sache hineinziehen. Miriam schaute Sven kurz an, dann nagelte sie den Kellner wieder mit ihren Blicken an die Wand. Sven wusste, dass er den weiteren Verlauf dieses Augenblicks kontrollierte, denn eine ungeküsste Miriam wäre blamiert. Sein Kuss würde ihren Mut belohnen und ihn in die Sache hineinziehen. Miriams Blick streifte ihn erneut, diesmal lag etwas Flehendes darin -- Sven genoss es, lächelte verwegen und neigte seinen Oberkörper vor.
    
    »Ich werde den Tag bereuen, an dem ich dich kennengelernt habe«, flüsterte er in ihr Ohr, bevor er ihre Lippen berührte. Miriam atmete während des Kusses erleichtert aus. Die Anspannung der letzten Herzschläge entlud sich in züngelnden Bewegungen.
    
    »Wir sind zu jung, um den ganzen Abend in Restaurants rumzusitzen«, sagte Miriam mit verlangendem Blick. Sie schob ein Bein unter ihrem Körper vor und ließ sich galant auf Svens Schoß gleiten.
    
    *
    
    Das Geld auf dem Tisch deckte die Kosten um mehr als das Doppelte. Der Kellner nahm es, räumte die Teller ab und blickte dem übermütigen Pärchen mit schmalen Lippen nach. Einige Gäste schauten anerkennend oder vorwurfsvoll zu dem jungen Mann in dem lässig geschnittenen Hemd ...
    ... und der aufreizenden Frau in seinem Arm.
    
    »Was macht deine Schulter?«
    
    »Tut fast gar nicht mehr weh«, sagte Miriam und genoss die milde Sommerluft, die in der jungen Nacht durch die Straßenschluchten wehte.
    
    Aus der angriffslustigen Raubkatze wurde ein schüchtern dreinblickendes Kätzchen.
    
    »Bin ich dir zu anstrengend?«
    
    »Ich kann nicht genug davon bekommen, aber ich dachte immer, dass ich nicht der Typ bin, dem so etwas passiert.«
    
    »Na, wenigsten denkst du nicht, dass du dachtest.«
    
    Sven lachte nickend, blieb stehen und legte seine Hände auf ihre Wangen. Miriam schloss ihre Augen und genoss seine Lippen auf ihren. So bedächtig und gefühlvoll war sie noch nie geküsst worden. Ihre Knie wurden weich, sie schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, machte einen Satz und umklammerte seine Hüften mit ihren Beinen. Sven taumelte, hielt das Gleichgewicht und trug Miriam, die wie ein Klammeraffe an ihm hing. Sie presste sich fest an ihn und fühlte seine Arme zupackend auf ihrem Rücken -- die Umarmung war schmerzhaft intensiv.
    
    »Hast du so etwas schon einmal erlebt?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
    
    »Nein. Zumindest noch nicht angezogen und auf offener Straße.«
    
    »Ich will die Skulpturen sehen, die du baust!«
    
    »Ich weiß.«
    
    ***
    
    Das Taxi hielt am Rand einer Ausfallstraße, die zu den Vororten der Großstadt führte. Dem Taxifahrer bereitete die Hinterhofatmosphäre sichtliches Unbehagen. Sven bezahlte und führte Miriam zu einer heruntergekommenen Tankstelle, vor der ...
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