1. Blinde Wut (1)


    Datum: 12.04.2022, Kategorien: Romantisch Autor: Plautzi

    ... hat zu erkennen, welchen Wert der Schein hat. Deshalb flüstere ich ihn ihr immer ins Ohr. Zehner, oder Zwanziger, je nach dem.
    
    Immer öfter bemerke ich, wie ihre Augen feucht werden, wenn sie das Papier in den Händen hält, es fest an sich presst, und sich mit einem "Gott segne Sie" bedankt.
    
    Mit der Zeit, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht ihr zu helfen. Das kann ich natürlich nicht bei jedem Bedürftigen machen, aber mit ihr ist es wenigstens ein guter Anfang.
    
    Bei ihr ist es mir wichtig. So, als wäre sie meine persönliche Schutzbefohlene. Vielleicht ist es so gekommen, weil sie eine Frau ist. Gut möglich, dass ich deswegen aufmerksamer hingesehen habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei einem jungen Mann genauso gehandelt hätte.
    
    Aber nur, weil man aus irgendeinem Grund blind ist bedeutet das nicht automatisch, dass man mit dem Verlust des Augenlichtes auch das Recht auf ein lebenswertes Leben verloren hat, und unter menschunwürdigen Zuständen leben muss. Schon deshalb macht es sie so besonders.
    
    Gestern oder heute, ich weiß es nicht genau, muss ihr etwas Schlimmes passiert sein, was mich zu meinem Eingangssatz zurückführt. Nicht nur, dass ihre Kleidung noch weiter zerrissen ist, hat sie ein in vielen Farben schimmerndes Veilchen am linken Auge, und einige blaue Flecke am linken Oberarm.
    
    Auffällig ist auch, dass nicht eine einzige Münze in ihrem alten Schächtelchen ist.
    
    Wie herzlos und kaltblütig muss man sein, wieviel kriminelle Energie benötigt man, ...
    ... und wie niedrig muss die eigene Hemmschwelle sein, um sich an einem blinden Menschen zu vergreifen. Jemand, der sich nicht wehren kann, weil er die Aggressionen im Gesichtsausdruck seines Angreifers nicht erkennt, und die drohenden Schläge nicht kommen sieht. Und dann noch bei einer schutzlosen Frau. Ich finde, ganz viel schlimmer geht's kaum noch.
    
    Ich bleibe einen Moment stehen und sehe sie mir an. Heute ist es vergleichsweise kühl. Auf jeden Fall viel zu kühl für eine zerrissene Hose und ein zerrissenes Shirt. Sie zittert. Gut möglich, dass ihr noch der Schock in den Gliedern sitzt und sie zittern lässt, aber die kühle Luft ist auch alles andere als angenehm.
    
    Ich hocke mich neben sie. In ihrer unmittelbaren Nähe nehme ich sofort den strengen Geruch wahr, der von ihrem Körper und ihrer Kleidung ausgeht. Dieser süß-säuerliche Geruch nach altem Schweiß, Dreck und verschiedener Körperausscheidungen.
    
    Sie spürt, dass jemand neben ihr sitzt. Ihre offenen Augen blicken starr an mir vorbei in die Richtung, in der sie mich vermutet. Ihre Hand tastet um sich herum. Sanft nehme ich ihre Hand, und lege sie in meine.
    
    "Bitte nicht erschrecken, ich bin Josh, eigentlich Joshua, aber Josh gefällt mir viel besser. Also lassen wir es bitte dabei. Keine Angst, ich tue Ihnen nichts." sage ich mit ruhiger Stimme zu ihr.
    
    "Ich weiß, Sie sind der, der mir immer die Geldscheine zusteckt. Ich erkenne Sie am Geruch Ihres Rasierwassers. Ich mag den Geruch, und deshalb habe ich ihn mir ...
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