Kurzsichtig und ohne Durchblick
Datum: 31.12.2022,
Kategorien:
Hausfrauen
Autor: bytears4U
Da war es passiert. Mal eben nicht aufgepasst, und schon war die Brille gebrochen, genau im Scharnier des Titangestells. Nun musste ich mir doch etwas Neues zulegen. Denn mit der alten Ersatzbrille konnte ich zwar noch in die Ferne sehen, aber Zeitung, Tablet, Smartphone lesen ging nicht mehr.
Zuvor allerdings wollte ich noch testen lassen, ob sich die Sehstärke nicht doch wieder verändert hatte. Und sie hatte! Also doch! Unbedingt wollte ich wieder ein Titangestell. Diese Dinger sind furchtbar leicht und ideal, wenn man den ganzen Tag über die Brille auf der Nase trägt. Es würde teuer, und meine Krankenversicherung würde nur einen ganz geringen Anteil übernehmen.
So stand ich dann eines Tages in einer der Filialen einer Optikerkette in der nahen Kreisstadt. Meinen Wünschen wollte sich eine Augenoptikerin namens Klar annehmen. Wie humorig, denn „klar" sehen wollte ich ja wieder. So musste ich schmunzeln.
„Mein lieber guter Mann", begann sie das Beratungsgespräch. „Glauben Sie mal nicht, dass Sie die erste Person sind, bei der die Assoziation zwischen meinem Namen und meinem Beruf zu Heiterkeit führt."
Wumm, das saß erstmal.
Frau Klar erwies sich als echte Rheinländerin. Ihr Mund, im Rheinland ‚Schnüss' genannt, stand eigentlich nicht still, wie ich noch herausfinden sollte. Sie hatte leicht krauses blondes halblanges Haar, eigentlich keine Frisur im herkömmlichen Sinn, trug eine Brille mit Metallgestell und großen Gläsern und war insgesamt eine Art ...
... Paradiesvogel. Aber sehr sympathisch. Ihre schätzungsweise einssechzig Körpergröße steckte in geschmackvoller, aber gleichwohl bunter Kleidung. Nichts aus der Kleiderkammer von Sozialstationen, wie man vielleicht hätte annehmen können. Irgendwie erweckte das alles dennoch den Eindruck, als sei sie auf dem Weg zum Strand. Die Schuhe, die sie trug, waren bequeme Sneaker. Und wenn sie aufstand, um etwas in den Auslagen zu suchen, konnte man einen rundlich fraulichen, wenn auch nicht dicken Hintern in ihrer gemusterten Hose erkennen und bewundern, wenn man auf ein solches Attribut stand.
Das Beratungsgespräch nahm teilweise etwas skurrile -oder sollte ich sagen karnevalistische- Züge an.
„Bei Titan-Brillen ist das so eine Sache. Sie sitzen auf Anhieb oder es wird nichts. Da musst du Glück haben. Und bei dieser Sehstärke am besten noch eine Extra-Lesebrille dazu. Hab' ich für mich auch so. Kannst du für 19,99 haben. Mach ich dir fertig, wenn gewünscht."
Was jetzt? Woher kam denn jetzt das „du" auf einmal?
„Wenn du viel liest oder am Computer vorm Bildschirm sitzt, wäre eine extra Brille von Vorteil. Oder wenn du nachts unterwegs bist und die anderen Autos blenden dich. Geht mir auch so."
Ach so, die rheinische Art. Schon klar. Wir schweiften vom Thema ab und unterhielten uns zwischendurch noch über die Pfalz, deren gute Küche und erst die Winzer! Dann erfuhr ich noch nebenbei, dass sie alleinstehend sei, hin und wieder mit einer Freundin Urlaub machte und ansonsten eine ...