Ein Vorurteil
Datum: 17.02.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Achterlaub
... darauf aus wären, sich es auf Kosten der deutschen Steuerzahler gut gehen zu lassen, hörte man doch ständig von kriminellen Übergriffen. Irgendwie passte das nicht zu dieser Michelle.
Diese Zweifel ließ ich mir nicht anmerken, als am nächsten Tag Michelle wiederum lächelnd an meiner Haustür stand. Als ich an ihr hinunterschaute, dachte ich an gestern, an ihre feingliedrigen Finger und ihre schmale zarte Hand. Mit wieviel mehr Sorgfalt und Feingefühl als die andere sie die Wunde eingecremt hatte. Dabei war sie zart über die empfindliche Narbe gestrichen und hatte anschließend ganz behutsam die Verbände aufgelegt.
Ihrem Akzent nach war ihre Heimatsprache wohl auch das Französische. Ja, sagte sie mir, eigentlich hätte sie nach Frankreich gehen wollen. Sie hätte dort auch für einige Wochen bei Bekannten illegal gelebt. Schließlich wäre sie dann mehr oder weniger zufällig in Deutschland gelandet. Man habe eine gute Freundin aus Ghana besuchen wollen. Dabei sei sie dann aufgegriffen worden. Ihre Bekannte aus Frankreich war registriert gewesen und konnte zurück. Sie musste in Deutschland bleiben.
In ihrer Not hätte sie dann einen Asylantrag gestellt. Nach vielen Monaten des Ausharrens in einer Asylbaracke erhielt sie dann als eine von wenigen Burkinabern den positiven Bescheid der deutschen Behörden. So blieb sie in Deutschland.
Als Michelle mich an jenem Tag verließ, fielen mir ihre schlanken, fast wadenlose Beine auf, die unter dem Kittel hervorragten. Mehr war auch ...
... wegen dem Mundschutz nicht zu sehen. Es hätte mich schon interessiert, einmal ihr ganzes Gesicht anschauen zu können. So musste ich ihr Befinden allein über den Ausdruck ihrer Augen erschließen. Die blitzten stets so freundlich und zuwendend und hinterließen dabei feine Fältchen um die Augenränder.
Von Afrika hatte ich bis dahin keine Vorstellung. Aber Dr. Google gibt da stets gute Auskunft. Burkina Faso ist ein sehr armes Land mit mehreren Volksgruppen, die sich alle nicht so recht grün sind. Immer wieder gibt es Militärputsche, und Islamisten treiben auch in einigen Landesteilen ihr Unwesen. Wenn man dann der falschen Gruppe zugehört oder sich vielleicht nicht im Sinne der jeweiligen Machthaber äußert, kann man leicht in große, sogar lebensbedrohliche Schwierigkeiten kommen. Wer wollte da schon leben?
Zu Kolonialzeiten wurde das Land Obervolta genannt. An diesen Namen erinnerte ich mich gut. Als Kind stellte ich mir das Land voll gespickt mit Strommasten vor. Viel Volt eben.
Irgendwie war das schon eine große Leistung von dieser Michelle. Sie hatte sich in eine fremde Welt aufgemacht, deren Sprache und Gewohnheiten ihr völlig fremd waren. Und dann hatte sie den Willen und die Kraft gefunden, dort auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt zu gestalten. Sie hat dann sogar eine Ausbildung erfolgreich hinter sich gebracht. Ob ich das in ähnlicher Situation geschafft hätte, wüsste ich nicht.
Michelle wurde mir von Tag zu Tag vertrauter. Die Wunde besserte sich zusehends. Sie ...