Wenn die Nachtigall erwacht 01
Datum: 26.03.2018,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie
Autor: by_Faith_
... gierigen Augen anstarren. Die strubblige Kurzhaarfrisur war nicht das Ergebnis einer unruhigen Nacht, sondern sorgsam gepflegtes Chaos, oberhalb eines sanft gezeichneten Gesichts. Einem Gesicht, dem für Miriams Geschmack, ein paar Jahre Lebenserfahrung fehlten. Sie hätte aufstehen und gehen können, aber sie saß einfach da und schaute ihn an. Entweder war er sich nicht im Geringsten darüber bewusst, was er gerade tat, oder er war mit allen Wassern gewaschen -- aber dafür sah er zu jung aus.
Sven drehte den Kopf in ihre Richtung und grinste verwegen. Erwischt! Miriam hatte ihn einen Moment zu lange verträumt angeschaut und das Spiel der Blicke verloren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Niederlage schmunzelnd einzugestehen, den Blick auf den Boden zu richten und ihr Gesicht hinter einem Vorhang aus langen blonden Haaren zu verbergen.
»Du bist gut«, sagte er mit der gönnerhaften Überlegenheit des Siegers. Miriam löste den Schneidersitz auf, streckte ihre Beine nach vorne und ließ sich vom Podest rutschen.
»Du auch«, hauchte sie und lief an ihm vorbei.
»Sehen wir uns wieder?«
Miriam blieb stehen und peilte ihn durch ihre herabhängenden Haare an: »Vielleicht.«
*
‚Was für eine Figur!', dachte Sven und schaute den langen Beinen so lange nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwanden. Der Hall ihrer Absätze wurde leiser und er atmete erleichtert aus. Er ging bei ihrem Aussehen und dem selbstbewussten Outfit davon aus, dass sie ihn durch die Nase ...
... einsaugen, durchkauen und dann herablassend in die Ecke spucken würde. Und in diesem Fall hätte er die Abfuhr als Gewinn verbucht: eine bittersüße Lehre für die Eroberung zukünftiger Ex-Freundinnen. Stattdessen war sie schüchtern wie eine Klosterschülerin, und so süß, dass es ihm fast leidtat, sie mit seinen blöden Sprüchen aus ihrer heilen Welt gerissen zu haben.
*
Die Ruhe des Gebäudes wirkte nicht mehr auf Miriam, sie eilte mit schnellen Schritten zum Ausgang und versteckte sich hinter ihrer Sonnenbrille. ‚Ich habe mich wie ein verdammter Nerd verhalten', warf sie sich vor und erreichte den großen Saal mit den Dinosauriern, sah mit einem Blick über die Schulter, dass sie nicht von Sven verfolgt wurde, und blieb vor einem Raptorenskelett stehen. Sie war den rauen Umgang mit Elitesoldaten gewohnt, konnte sie sich vom Hals halten oder um den Finger wickeln, je nach persönlichem Befinden. Aber gegen die frech-charmante Anmache dieses Sunnyboys versagten ihre Instinkte.
Sie blickte zurück zum Aufgang in den Westflügel, schüttelte den Kopf und verließ das Museum. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr war ihr dieses Spiel vertraut gewesen: hingucken, weggucken, lächeln, warten, wie der andere reagiert. Vielleicht war es Zeit, sich wieder mal auf dieses Spiel einzulassen.
***
Mit einem Tablett, auf dem ein 30-Zentimeter-Steak & Cheese Sandwich und eine große Cola standen, balancierte Miriam durch die Subway--Filiale und fand einen Sitzplatz am Fenster. Nach einem großen Bissen ...