Liebe, Tod und Neuanfang
Datum: 11.12.2018,
Kategorien:
Sonstige,
Autor: Aldebaran66
... sie immer zur gleichen Mittagszeit kam. Sie nutzte ihre Pause dazu, zum Friedhof zu gehen.
Seit dieser Zeit begrüßten wir uns, wenn wir uns sahen. Wenn also nichts dazwischen kam, was nicht vorkam, jeden Montag, Mittwoch und Freitag. Ich war zu einem freundlicheren "Hallo" übergegangen, das von ihr gleich beantwortet wurde. Sogar eine kleine Konversation konnte manchmal entstehen, wenn auch auf seichtem Niveau. Wir sprachen über das Wetter oder Ähnliches, Persönliches kam nie zur Sprache, wurde von vornherein ausgeklammert. Es war mir recht und Eva ging es nicht anders.
Eines Tages, als wir wieder nebeneinander am Arbeiten waren, sah sie zum Himmel herauf und meinte nebenbei: "Es ist schade, dass es nicht mehr regnet. Ich würde zu gerne mit einem Schirm auf der Bank dort drüben sitzen. Es scheint interessant dort zu sein!"
Ich weiß nicht, wie ich es sagen sollte, aber ich fühlte mich ertappt. Also hatte sie mich bemerkt, genauso wie ich es vermutet hatte. Ich machte gute Miene zum Spiel und antwortete: "Ja, man sitzt dort gut und kann von da aus interessante Menschen beobachten. Sogar im Regen, obwohl dann nicht viele hier sind. Wenn es nicht regnete, ist es besser."
"Seltsam, es ist mir nicht aufgefallen, dass dich andere Menschen interessiert haben!", sagte sie und drehte ihren Kopf zu mir.
Sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Das konnten nur Frauen. Beobachten ohne das Mann es merkte. Diese Eigenschaft war mir schon immer unheimlich gewesen, gehörte jedoch ...
... zu den Frauen, wie das Gespür für Stimmungsschwankungen bei anderen Menschen.
"Es könnte daran liegen, dass ich nicht alle Menschen interessant finde!", sagte ich ausweichend, wobei ich versuchte auf ihre Körpersprache zu achten. Aber es fiel mir nichts an ihr auf, was ungewöhnlich für sie wäre.
"Ach ja", sagte sie fast nebenläufig und nickte in die Richtung von Silvias letzter Ruhestätte. "Deine Frau?"
Ich war überrascht. Es war das erste Mal, dass sie etwas Persönliches fragte. So überrascht, dass ich einmal nickte und sie verstand. Im Gegenzug fragte ich sie: "Dein Mann?", und bekam die gleiche Geste von ihr, die ich bereits gemacht hatte.
Damit war ihre Neugierde anscheinend befriedigt und wir trennten uns bis zum nächsten Mal.
So erfuhr ich langsam mehr von ihr und sie von mir. Wir breiteten unsere Gefühle und Gedanken zwar nicht vor uns aus, doch einige Informationen kamen noch rüber. So erfuhr ich von ihr, dass ihr Mann Ingo vor fünf Jahren gestorben war. Als sie in ihrer Funktion als Chefsekretärin in unsere Stadt versetzt wurde, hatte sie ihren Mann umbetten lassen, damit sie ihn in ihrer Nähe wusste. Seine Asche gab ihr immer noch den Halt im Leben, den sich brauchte. Sie war nach seinem Tod in ein tiefes Loch gefallen und war fast daran gescheitert. Nur mit der Hilfe einiger Freunde und eines Psychologen, hatte sie es geschafft und war in einem Gleichgewicht, welches jedoch auf tönernen Füßen stand. Sie wusste, dass sie noch labil war, besonders was ...