1. Nackt im Theater


    Datum: 16.03.2019, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... loslegen!" Casting! Ich konnte sehen, wie meiner Freundin beim Vernehmen dieses ominösen Wortes ein Hauch von Überraschung und Nervösität übers Gesicht glitt. Im Antwortschreiben war noch von einem Vorstellungs-Gespräch die Rede gewesen, doch Casting, das bedeutete, dass sie nicht nur ein Interview geben sondern auch selbst einige Kostproben ihres Könnens vorführen musste. "Darf ich Ihnen unsere neue Bewerberin vorstellen. Sie ist in Begleitung ihres Freundes hier."
    
    Meine Freundin öffete unwillkürlich den Mund, als wir in einen Raum eintraten und dort hinter einigen Tischen gleich eine mehrköpfige Gesellschaft, offensichtlich eine Jury, wartete, in dessen Mitte sich der Direktor jetzt setzte. Innerhalb weniger Minuten war aus dem Vorstellungs-Gespräch ein professionelles Casing geworden! Doch zuerst durfte meine Freundin auf einem Stuhl Platz nehmen und wurde eingehend interviewt. Ich selbst nahm auf einem Stuhl in einer Ecke Platz, den man mir anbot. Abwechslungsweise stellten die Mitglieder der Jury Fragen und notierten die Antworten. "Welche Rollen haben Sie bisher gespielt?" "Welche Rollen spielen Sie am liebsten?" "Improvisieren Sie gerne auf der Bühne?" "Was erwarten Sie von ihrer neuen Stelle?" "Wieso haben Sie gerade unsere Theatergruppe ausgesucht?" Dies waren nur einige der Fragen, die meine Freundin zu beantworten hatte. Mir fiel auf, dass eine Dame, welche am Ende der Tischreihe sass, sich als einzige keine Notizen machte, sondern unentwegt meine Freundin ...
    ... begutachtete und nur hin und wieder vereinzelt eine Frage in den Raum warf. Anscheinend beurteilte sie nicht die Antworten, sondern einzig das Verhalten meiner Freundin während dem Gespräch.
    
    "So! Ich glaube das genügt!", unterbrach der Direktor plötzlich das Interview und betätigte eine auf seinem Tisch angebrachte Klingel. Kurze Zeit später betrat eine junge Frau, etwas jünger noch als meine Freundin, den Raum. "Würdest du dich jetzt bitte vom Stuhl zu erheben?" sprach sie meine Freundin mit einem warmherzigen Lächeln aber doch bestimmt an. War sie wohl selbst Schauspielerin hier? Seltsamerweise trug sie einen Wäschekorb, den sie nun ablegte. Weshalb um alles in der Welt brachte sie bloss einen Wäschekorb mit in den Raum? Dem nicht minder verwunderten Gesichtsausdruck meiner Freundin konnte ich ablesen, dass sie sich wohl die selbe Frage stellte. Trotz allem Nachdenken konnte ich schlicht und einfach keine Antwort finden. Nun, das kleie Geheimnis wird sich bestimmt bald lüften, beruhigte ich mich selbst. Und zum weiteren Nachdenken hatte ich auch gar keine Zeit. Denn schon hatte die junge Dame den Stuhl, auf dem eben noch meine Freundin sass, entfernt, und erneut ergriff nun der Direktor das Wort. "Wir treten nur zum eigentlichen Casing über. Haben Sie denn für heute irgendwelche Rollen vorbereitet?" "Ah... nein... aber es gibt ein paar, die ich vorführen kann", hörte ich meine Freundin sagen. "Das ist gut!" erwiderte der Direktor. Zuerst durfte bzw. musste sie noch einige ...