1. Die Stellvertreterin


    Datum: 27.04.2019, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... Hausnummer sind leicht zu finden.
    
    Das ist das Szeneviertel von Dresden.
    
    Die Kunstecke. Ich war hier schon mal mit Manu und Babs.
    
    In den Hinterhöfen treffen sich die Studenten und sind weitgehend unter sich. Da gibt es Jazz, Dixie, Blues und Diskussionen und auch den einen oder anderen berauschenden Stoff, wenn man Insider ist. Aber nur dann.
    
    Das pralle Leben fand da statt. Offen. Zu offen für mich. Zu unverblümt.
    
    Es blieb aber immer eine unbestimmte wehmütige Sehnsucht danach in mir.
    
    Ich fand es damals interessant und anregend. Aber auch irgendwie beängstigend frei und ungewohnt. Manuela war immer mittendrin, aber ich blieb reserviert. Die jungen Leute dort haben das respektiert und mich draußen gelassen. Ich gehörte nicht dazu. Nicht meine Welt.
    
    Sie hielten mich wohl für eine spießige Zicke.
    
    Ich war seitdem nicht wieder da gewesen.
    
    Uferstraße 17b.
    
    Die Haustür öffnet sich von selbst bei leichtem Druck auf den Tütknauf.
    
    Hier gibt es also nichts zu klauen. Hier wohnen bestimmt keine reichen Leute.
    
    Ich steige die 4 Treppenabsätze hoch und finde das Türschild.
    
    „Andreas Baal, Kunstmaler und Grafiker“.
    
    Wie jetzt? Keine Kosmetik? Irgendwie hatte ich mir das ganz anders vorgestellt.
    
    Firmenschild unten, Sprechanlage, summender Türöffner. Manu hatte immer so edle Marken im Angebot. Hier laufen auch keine jungen dynamischen Manager im feinen Zwirn herum.
    
    Ganz im Gegenteil.
    
    Auf mein Klingeln öffnet mir ein ziemlich mürrischer ...
    ... zausebrusthaariger Mitte-40er mit Lulle im Mundwinkel in einem farbenbeklecksten Unterhemd und altertümlicher Kordhose.
    
    „Hä?“
    
    „Guten Tag. Sie sind Herr Baal? Ich komme wegen der Sitzung, ich vertrete…“
    
    „Viel zu früh! Das geht doch erst ab 18:00 los! Kommen Sie später wieder.“
    
    Damit knallt er die Tür wieder zu.
    
    Ich bin erst mal zutiefst geschockt. Beleidigt. Ich will gleich wieder gehen.
    
    Mir hat es die Sprache verschlagen. So ein Arschloch!
    
    Mit wem hat es die Manu denn bloß zusammengewurschtelt, das Schicksal?
    
    Der ist ja total unmöglich! Dieser Kerl! Stammt der aus der Gosse? Dieses Wildschwein!
    
    Dann muss ich an die Ausrufungszeichen in Manuelas Kalender denken:
    
    „Sitzung bei Andreas!“ Und ich habe einen seltsamen Duft in der Nase, der mir sonst nie als interessant, geschweige denn als anziehend aufgefallen wäre:
    
    Puma.
    
    Ein Geruch nach Wildheit und Wahnsinn, Rauch und Feuer, Abenteuer und Männerschweiß, Torf, Erde, Holz, Blut, Blättern, Moder und Fäulnis und noch Irgendwas, das ich nicht definieren kann.
    
    Ein sehr intimer Geruch. Abstoßend, aufreizend und anziehend zugleich und herausfordernd.
    
    Zum Leben auffordernd.
    
    So habe ich mir immer den Geruch in einer Neanderthaler-Höhle vorgestellt.
    
    Manchmal hatte ich ihn in meinen schlimmsten Albträumen schon in der Nase.
    
    Ich erinnere mich an durchschwitzte Nächte. Viele, viele Nächte.
    
    Die fingen immer gut an und endeten dann stets im absoluten Horror.
    
    Mit diesem Geruch. Dem Geruch der ...
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