1. Die Stellvertreterin


    Datum: 27.04.2019, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... auf eine ganz perfide Art.
    
    Er grinst und ich habe immer noch diesen Pumageruch in der Nase.
    
    In mir kribbelt es immer beunruhigender. In einem rußigen Kamin brennen große Holzstücke und einige Papier- und Stofffetzen. Es qualmt und stinkt ein wenig.
    
    Ich schaue mich im Atelier um und betrachte Skizzen mit Köpfen, Händen, Füßen, nackten Frauen, aufgerissenen Mäulern, Schreienden, Lachenden und verknoteten Körpern in undefinierbaren Positionen.
    
    Er kritzelt auf seinem Blatt herum und scheint unzufrieden mit mir zu sein
    
    Jetzt ist er fertig und reißt sein Skizzenblatt vom Block.
    
    Ich bin neugierig auf das, was er da von mir gezeichnet hat.
    
    Er geht in seine kleine Küche.
    
    „Ich brauche jetzt ne kräftige Tasse Brühe.“ Sagt er. Und:
    
    „Schau dich um und mach dich locker.“
    
    Mich interessiert jetzt nur Eines. Das Blatt mit der Skizze von mir. Es liegt auf dem Boden vor seinem Hocker. Es zeigt eine Landschaft. Nicht mich.
    
    Ich kapiere gar nichts mehr. Ich sehe noch mal genauer hin.
    
    Doch! Da ist eine Schulter, ganz dünn und nur angedeutet. Da sind auch ein Bauch und Beine und Arme wie ein feiner Hauch über der Landschaft. Aber kein richtiger Kopf, keine Brust, kein Unterleib. Dort, wo man es vermuten würde, ist Landschaft. Bäume, Berge, ein Fluss und Tiere auf der Weide. Ist das die künstlerische Freiheit? Wozu braucht er mich dann überhaupt? Wozu braucht er denn dann ein Modell?
    
    Diese Frage stelle ich ihm, gleich als er wieder aus seiner Küche ...
    ... kommt.
    
    „Was soll das? Wozu brauchst du mich dann als Modell? So ein Quatsch!
    
    Willst du mich verarschen?“
    
    „Was das soll? Ob ich dich verarschen will? Umgekehrt wird ein Schuh draus.
    
    Du willst mich verarschen. Nein, entschuldige. Ich erwarte wohl zu viel.
    
    Hast du schon mal einen Baum mit BH gesehen? Oder eine Schlucht mit Schlüpfern?
    
    Ein Baum ist ein Baum und eine Schlucht ist eine Schlucht.
    
    Die sind da, die sind real, die kann man sehen, die machen mir nichts vor.
    
    Die sind ehrlich. Die sind so, wie sie eben sind.
    
    Du aber nicht. Du traust mir nicht.
    
    Du willst nicht, dass ich dich sehe als Mensch, als Frau als Teil der Natur.
    
    Also zeichne ich dich als das, was du bist: Ein Abklatsch von Vorurteilen, der wie ein grauer Nebelschleier über der wahren Natur liegt.
    
    Dein Anblick hat so den Charme eines Werbeplakates oder einer Autobahn.
    
    Alle Welt und nichts. Uniformierter Durchschnitt. Knüllpapier.
    
    Nenne es meinetwegen Zivilisation. Nenne es, wie du willst.
    
    Aber nenne es nicht Natur, nicht Mensch, nicht Leben und nicht Wahrheit.
    
    Das ist es nicht und das bist du nicht. Du bist ein wandelndes Vorurteil das mich zum potenziellen Notzuchtverbrecher abstempelt, nur, weil ich dich ohne scheinheilige Verhüllung sehen und darstellen will.“
    
    Mein neuer Duzfreund Andreas ist dabei aber nicht wirklich wütend, sondern sein Gesichtsausdruck ist gewinnend, hintersinnig und selbstsicher.
    
    Ich kann spüren, wie sehr er sich schon sicher ist, dass ich ...
«1...345...13»