1. Die Stellvertreterin


    Datum: 27.04.2019, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... Hölle.
    
    Warum lassen mich dieser unsägliche Duft und meine unbändige Neugier auf der Treppe halt machen? Ist es das, Manuela, was dein Geheimnis ausmacht?
    
    Ist da etwas in mir, das genau darauf anspricht? Auf diesen Locker? Meine Neugier siegt.
    
    Ist etwas das, was ich immer am meisten gefürchtet hatte genau das, was ich ersehne?
    
    Ich drücke noch einmal auf die Klingel. Und noch ein zweites Mal. Das wirkt.
    
    „Was denn jetzt noch?“
    
    „Ich bin Barbara, die Freundin von Manuela Grabs. Ich vertrete sie heute ausnahmsweise und ich komme wegen der Sitzung. Sie wissen schon. Es stand in ihrem Terminkalender. Manuela kann heute nämlich nicht, wissen Sie?“
    
    Das Wildschwein kann ja auch freundlich lächeln.
    
    „Ach nee! Ne Stellvertreterin. Das find ich ja, na wie finde ich das? Manne, du bist genial! Und Grabs heißt du auch noch. Wusste ich ja noch gar nicht.“
    
    „Sie heißt Grabs, nicht ich. Wer ist denn jetzt „Manne“? Meinten Sie damit Manuela?“
    
    Das Wildschwein schaut mich nachdenklich an und hat dabei einen schwärmerischen fröhlich lächelnden Zug um die Augen:
    
    „Ja, „Manne“, das ist Manuela. Ein Kumpel, ein Prachtweib, eine Hexe, ein Vollmensch, eine Wucht, eine Weiber-Wunder-Welt, ein eruptiver Vulkan.
    
    Und du willst sie heute vertreten. Glaubst du, dass du das kannst? Entschuldigung, dass ich dich gleich duze, aber wenn du Manne wirklich vertreten willst.“
    
    Mir wird ganz flau im Magen. Aber ich sage tapfer: „Ja, schon gut, ist ok. Ich tue, was ich kann.“ und ...
    ... möchte auch gleich fragen, wo die Toilette ist. Ich verkneife es mir aber. Ich bin total eingeschüchtert. Worauf habe ich mich da eingelassen und warum nur?
    
    Irgendetwas in mir verlangt danach, es jetzt gleich zu wissen.
    
    „Was ist denn dann gemeint mit „Sitzung“?“
    
    „Hm, na, dass sie, in diesem Falle eben du in Vertretung, mir Modell sitzt, stehst, liegst, kniest, hockst, hängst, was denn sonst?
    
    So, ich hole mir also mein Staffelei ran und du machst dich bereit.“
    
    Ich mache mich bereit? Wie denn und was denn?
    
    Aber ich bin ja auch schließlich nicht ganz doof und ahnungslos.
    
    Das ja nun nicht mehr.
    
    Also ziehe ich mich aus. Bis auf den BH und meinen Schlüpfer.
    
    Die bleiben dran.
    
    Das habe ich mir geschworen.
    
    Meine anderen Sachen lege ich ordentlich gestapelt auf die Ecke einer abgewetzten Ledercouch.
    
    Er beobachtet mich nicht, sondern studiert ein unvollendetes Bild, das an der gegenüberliegenden Wand lehnt. Eine Mischung aus Skizzen und großen Farbflächen.
    
    Ich setze mich einfach auf den hohen Hocker, der mitten im Zimmer steht.
    
    Die Beine schlage ich züchtig übereinander und meine Hände stütze ich hinten an der Kante des Hockers ab. Kopf in den Nacken. Pose.
    
    So kenne ich das aus Filmen, wo eine Frau einem Maler Modell sitzt.
    
    Er gibt mir keinerlei Anweisungen, wie ich es eigentlich erwartet hätte.
    
    Ich finde, dass ich schon sehr freizügig bin. Aber in mir regt sich nichts.
    
    Nicht viel.
    
    Ich bin einfach nur unsicher. Er lächelt auch noch ...
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