1. Perspektiven


    Datum: 15.09.2019, Kategorien: Nicht festgelegt, Autor: byLitHH

    ... den anderen, die alle so taten, als würden sie nichts mitbekommen. Ich sah ihn an und sagte noch einmal nein. „Dann kannst du gehen. Ich brauch dich nicht mehr." Ich war total geschockt und wusste zuerst gar nicht, was ich sagen sollte. Mir fiel nichts Klügeres ein, als ihm zu sagen, dass ich das Geld benötigen würde, worauf er mich nur angrinste und sagte, dass das ja meine Entscheidung gewesen sei. Ich fragte nach dem Geld, was ich noch bekommen würde. Er holte sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche und reichte mir 20 Euro. Ich schüttelte den Kopf, sagte, dass das nicht alles wäre. Er hob drohend die Hand und ich dachte, er wolle mich schlagen. Instinktiv hob ich meine Hände vors Gesicht und wich zurück. „Übertreib es nicht. Du solltest froh sein, überhaupt Geld bekommen zu haben. Und nun verpiss dich."
    
    Das war es gewesen. Ich stand total hilflos unten an der Straße und wartete am Auto. Ich wusste nicht, wo ich war und wie ich hier wegkommen sollte. Ich ging die Straße hinunter, bis ich zu einer Bushaltestelle kam, in welcher ein Stadtplan hing. Ich musste eine Weile suchen, bis ich meine Straße gefunden hatte und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass dieser Bus hier ganz in die Nähe unserer Wohnung fuhr. Als der Bus auch prompt vorfuhr, glaubte ich für einen Moment sogar wieder an ein sprichwörtliches Glück. Ich stieg ein und sank erschöpft auf einem freien Platz. Dass der Tag nicht besser werden würde, erkannte ich, als ich eine männliche Stimme hörte, die ...
    ... sagte „Fahrscheinkontrolle, die Fahrausweise bitte".
    
    Ich hatte gemeinsam mit dem Kontrolleur den Bus verlassen müssen. Er war total unfreundlich zu mir. Da ich keinen Ausweis bei mir hatte, kam dann auch noch die Polizei. Ich verstand nicht, was sie wollten, jedenfalls nahmen sie mich mit auf ihre Wache, wo ich ewig sitzen musste, bis man mich gehen ließ. Es war schon dunkel, als ich endlich unter der Dusche stand und dann in mein Bett fiel. Es war ein total schrecklicher Tag gewesen. Ich öffnete meinen Laptop, öffnete wieder den Chat und traf dort auch prompt auf die Internetbekanntschaft, die mir die letzten Wochen erheblich verkürzt hatte. Wolfgang.
    
    Wolfgang war 45 Jahre alt. Dass er deutlich älter war als ich, störte mich nicht im Geringsten. Wir unterhielten uns ja nur. Er war charmant und freundlich, hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Und er machte auch überhaupt kein Geheimnis daraus, dass er mich total attraktiv fand. Hin und wieder tat es gut, das zu hören. Wolfgang war geschieden, hatte aber keine Kinder. Er wohnte auch in Berlin, hatte aber ein kleines Haus. Er fragte mich ständig nach meiner Handynummer oder nach einem Treffen. Irgendwie war es für mich aber nicht mehr als ein Spiel. Ich erzählte ihm von mir und meinem Leben und er hörte zu. Das tat mir gut. Ich hatte mich fast schon mit dem Tag versöhnt und mich damit abgefunden, dass Rückschläge normal waren, als ich die Stimme meines Freundes hörte. Ich klappte den Laptop zu, als er ins Zimmer ...