Der Umschlag
Datum: 26.09.2019,
Kategorien:
Erotische Verbindungen,
Autor: bysophiedrama
Später würde sie sich hin und wieder fragen, ob das, was sich an diesem Abend als Folge einer rein zufälligen Begegnung ereignet hatte, irgendwann auch auf andere Weise hätte geschehen können oder ob ihr Leben einfach immer so weiter gelaufen wäre.
Seit Abschluss ihres Masters arbeitete Romy nun schon seit zwei Jahren bei einer internationalen Unternehmensberatung. Genauer gesagt bei einer der Big Threes, wie sie zu sagen pflegte, wenn jemand sie nach ihrem Arbeitgeber fragte und sie ihr Gegenüber nicht gut genug kannte. Diskretion wurde in der Branche seit jeher groß geschrieben und war ebenso wichtig wie Loyalität und bedingungslose Aufopferungsbereitschaft.
Ihr Arbeitstag bestand nur selten aus weniger als 14 Stunden. Montagmorgens ging der frühestmögliche Flug zum Unternehmenssitz des Kunden, von wo an sie die Tage in unzähligen Workshops und Interviews mit den verschiedenen Ansprechpartnern zubrachte, um an den Abenden, die neu gewonnenen Informationen und Erkenntnisse zu konsolidieren und in die Präsentation einzupflegen. Freitagabends folgte dann der Rückflug nach München, wo sie in aller Regel erst nach Mitternacht in ihr Bett fiel, nur damit am kommenden Montag alles wieder von vorne losging.
Für ihre Freunde und Familie war es nur schwer nachvollziehbar, wie sie an so einem Job Gefallen finden konnte, auch wenn sie der ein oder andere wegen des Prestiges und des vermuteten astronomischen Gehaltschecks beneiden mochte, über was sie - Diskretion versteht ...
... sich - selbstverständlich niemals sprach.
Die Meinung der anderen interessierte sie jedoch nicht sonderlich. So lange Romy denken konnte, von ihrer Schulzeit bis zu ihrem Studium in Siegen, Cardiff und Cambridge, war es ihr Ziel, Karriere zu machen. Dass dieses Ziel nur mit einer entsprechenden Leistungsbereitschaft zu erreichen war, verstand sich von selbst.
Ihr aktueller Kunde war eine Großbank mit Sitz in Frankfurt am Main. Über Jahrzehnte lang geprägt von einem vermeintlich schier unbegrenztem Wachstum, war man in den letzten Jahren durch unzählige Krisen, immer neue Regularien und sinkende Zinsen gebeutelt, was allmählich an der Substanz des Unternehmens zehrte. Romy war Teil eines siebenköpfigen Teams, damit beauftragt, ein umfangreiches Restrukturierungskonzept zu entwickeln, welches die Zukunft des traditionsreichen Hauses sichern sollte und was - wie fast immer in solchen Fällen - mit umfangreichen Personaleinsparungen einhergehen würde. Romy konnte nicht behaupten, dass sie ein großes Problem damit hatte. In ihrer Welt war Personal vor allem eine Zahl in einer großen Tabelle, an deren Ende entweder ein Plus oder ein Minus stand.
Ihr Team bestand aus Beratern mit unterschiedlichen Lebensläufen und Qualifikationen. Wie bei jedem Projekt wurde das Team individuell zusammengestellt und es kam selten vor, dass man zweimal mit demselben Kollegen in einem Projekt zu tun hatte. Obwohl ihr aktuelles Projekt bereits fünf Wochen lief, hatte es bisher kaum Möglichkeiten ...