Geschichten, die das Leben Schreibt 01
Datum: 19.01.2020,
Kategorien:
Erstes Mal
Autor: byNimmermehr
... Kohlenzeichnung hinein. Der Januskopf thronte auf einem zweiten Kopf; in der oberen Hälfte ein Totenschädel mit schwarzen leeren Augenhöhlen und einem langgezogenen Loch, wo die normal die Nase befand. Es war ein kleiner runder Schädel, der nach unten hin an Substanz gewann und in den Resten eines Gesichtes auslief. Eindeutig dem Gesicht des Jungen, den ich heute mitgenommen hatte. Obwohl nur Mundpartie, untere Wangenregion und Kinn erkennbar waren, drückte das Gesicht eine sehr tiefe Trauer und Zerrissenheit aus.
„Wenn jedes Lächeln weh tut,
Wenn Du Dich selbst nicht mehr erträgst,
Wenn Du denkst nicht mehr mit Dir und mit der Welt klar zu kommen,
Wenn Du nicht mehr mit der Vergangenheit und der Gegenwart klar kommst,
Wenn Du Angst hast mit der Zukunft klar zu kommen,
Wenn Du nicht mehr bereit bist, Dich selbst zu fühlen,
Dann kann Dir der Tod wie ein Traum erscheinen."
Harte Kost!!! Der Junge musste sich in den Rothaarigen verguckt haben. Doch der war wahrscheinlich als Hetero nicht an mehr als Freundschaft oder Bekanntschaft interessiert und hatte sich seinerseits alsbald mit der Blondine zusammengetan.
Eine heimliche, eine enttäuschte und eine vergebliche Liebe! Eine Liebe, die in Seelenpein mündet. Ich konnte ihn gut verstehen.
Das Skizzenbuch war wie ein Spiegel in die Seele dieses Jungen. Ich kam mir wie ein Voyeur vor. Nein, ich war dieser Voyeur -- ganz real. Nur dass ich ihn nicht heimlich durch das Fenster beim Ausziehen seiner ...
... Kleidung betrachtete. Das hier war mehr. Ich betrachtete sein Innerstes.
Durfte ich das? Nein! Und doch konnte und wollte ich nicht damit aufhören.
Das nächste Bild war wieder eine Bleistiftzeichnung. Es war ein Pantherkopf in der Seitenansicht hinter Gitterstäben. Über diesem Raubtierkopf waren fein die Gesichtszüge des Jungen gelegt -- Stupsnase, schmale Lippen -- hört sich vielleicht abstrakt an, sah aber ziemlich Klasse aus. Weniger Klasse in diesem Zusammenhang der Text, der eindeutig von Reiner Maria Rilke stammte :
„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein."
Tolles Gedicht. Ein Klassiker. Und jeder erkennt sich irgendwo in diesen Zeilen wieder. Aber was den Jungen anbelangt, lief da irgendwas hier ziemlich falsch.
Das nächste Bild waren eigentlich 4 Bilder, die in einem Halbkreis angeordnet, den nachfolgenden Text krönten. Eine Raupe, Segment für Segment mit Haaren bedeckt; eine verpuppte Raupe an einem Blatt hängend; das Aufbrechen der Raupe und das Ausschlüpfen eines ...