1. Teil 01 - Alexa


    Datum: 03.02.2020, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: bythomasbirne

    ... sterben. Gott verachtet alle reichen Menschen, er schenkt ihnen kein längeres Leben, sondern einen längeren Tod.
    
    Der Novize steht schon auf der Galerie und wartet. Seine Kutte ist schwarz und fleckenlos, Benediktiner, wahrscheinlich gerade erst 20, ungefähr so alt wie Tara. Er sieht aus wie ein kleiner Junge, ein kleiner Junge mit einem viel zu langen Mantel.
    
    Vielfarbige Blitzlichter pulsieren im Takt elektronischer Musik, werfen harte Schatten in das Gesicht des Jungen, während seine Kutte dunkel bleibt. Schatten gibt es nur im Zwielicht, die Nacht ist immer schwarz. Von unten steigt der Geruch von Schweiß, verschüttetem Alkohol und Zigarettenrauch, Kunstnebel und Erbrochenem aus der alten Fabrikhalle des Stahlwerks auf. Eine alte schlackeverkrustete Thomasbirne hängt, mit Lichterketten, Glühbirnen und Neonröhren behängt, wie ein Kronleuchter über diesem Daumenkino der Sehnsucht. „Werdet Vorübergehende", sagte der Gute Jünger Thomas. Zum Vorübergehen brachen wir auf, dies ist der Bahnhof, doch hat anscheinend noch niemals jemand einen Zug abfahren sehen. Nur andere Reisende gibt es hier. Vorübergehende.
    
    Ich brauche eine Zigarette, soll der blasse Novize selbst sehen, wie er seinen Pater nach Hause bekommt. Tara bleibt zurück, sieht den fleckenlosen Schwarzmantel, der seine unbeholfenen Blicke auf ihre spärlich bedeckten Brüste zu verbergen sucht, mit dunklen, scheuen Augen an. Den scharfen Klang, den ihre hohen Absätze auf dem Betonboden verursachen, als sie einen ...
    ... Schritt in seine Richtung macht, höre ich trotz der hämmernden Musik. In dieser Nacht ist er ein Niemand, doch sind die Wege des Glaubens und aller seiner Anhänger nicht weniger unergründlich als die Gottes. Kleine Schwester, wie sollen wir aus dir nur eine anständige Vorübergehende machen?
    
    Die Nacht ist schwül und die Luft schmutzig und verbraucht. Aus den engen Straßenschluchten des siebten Distriktes dringt verwaschenes Licht nach oben auf das Dach des Stahlwerkes, während am Himmel vereinzelte Wolkenfetzen im Schein der Straßenlaternen wie giftige Bleimennige leuchten. Stimmen dringen nur undeutlich aus der von Menschen erfüllten Gasse hinauf, es klingt wie eine Raubtiermeute, die einen Kadaver zerreißt.
    
    Im Süden, hinter den Lagerhallen und Hafenkränen des elften Distriktes, liegt das Meer, in dem sich ein dunstgetrübter Mond spiegelt. Ist es Einbildung, oder ist die Luft auf dieser Seite des Daches tatsächlich etwas weniger abgenutzt und fadenscheinig? Ich blase den Rauch der Zigarette in Richtung Meer, sauge probeweise etwas Luft in meine Lugen. Sicherlich schon viele tausend Male geatmet, aber anscheinend hat noch niemand einen bleibenden Eindruck darin hinterlassen können. Sie stinkt, aber man kann sie atmen, sie ernährt einen, obwohl sie wahrscheinlich sogar der fette Pater schon benutzt hat, und den Fäulnisgeruch seiner versagenden Leber darin zurückgelassen hat.
    
    Schritte versetzen den Metallrost, auf dem ich stehe, in leichte Vibration. Man hört nichts, ...