1. Teil 01 - Alexa


    Datum: 03.02.2020, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: bythomasbirne

    ... aber man spürt es am Boden, so wie Grillen ein Gefühl dafür haben, dass sich jemand nähert. Ich drehe mich herum, ziehe an der Zigarette. Aus den Schatten schält sich eine Gestalt, deren Konturen schärfer werden, je näher sie mir und dem Laternenlicht hinter mir kommt.
    
    Seine Haut ist dunkelbraun, so braun, dass sie fast schwarz ist. Kurze, nur ein paar Tage alte Haarstoppeln wachsen auf seinem rasierten Schädel, ich hätte ihn für einen Sträfling halten können, wenn ich es nicht besser gewusst hätte. Sein Gesicht wirkt alt, viel zu alt für jemanden seines Alters. Kummer lässt einen vor der Zeit alt wirken, genauso wie die bunt glühenden Lichter von Distrikt 7, in deren ungesundem Schein wir beide stehen.
    
    Er hebt zwei Finger an den nackten Schädel. „Citoyenne", brummt er. Seine Stimme klingt tief und hallend, so als würde man in eine leere Kirche sprechen.
    
    Ich unterdrücke einen Aufschrei, werfe mich nicht an seinen schlecht rasierten Hals, obwohl ich es mir wünsche. „Citoyen", sage ich und führe die Finger an meine eigene, nicht vorhandene, rote Mütze. Dem Impuls mich hastig zu allen Seiten umzudrehen, widerstehe ich, er soll mich nicht für schwach halten.
    
    „Es ist lange her", sage ich und höre meine eigene Stimme beben.
    
    Er nickt bedächtig. „Hast wohl gar nicht mehr geglaubt, dass ich kommen würde."
    
    Eine kleine Pause entsteht, als ich an der Zigarette ziehe. „Ich habe es gewusst. Jede Nacht und jeden Tag habe ich damit gerechnet dich durch die Tür kommen zu ...
    ... sehen."
    
    „Und dann schleiche ich mich wie ein Dieb in der Nacht an dich heran. Je suis desolé, kleine Alexa." Er grinst breit. „Hast du 'ne Kippe, für einen alten Freund?"
    
    Ich schüttle den Kopf. „Ist die letzte, aber ich werde sie mit dir teilen", sage ich und reiche ihm die lippenstiftbeschmierte Zigarette.
    
    Er nimmt einen tiefen Zug, lässt die Glut hell aufleuchten. „Zigaretten sind ein wundervoller Katalysator für jedes ernsthafte Gespräch", sagt er und deutet mit dem Finger in Richtung eines hell strahlen Lichtpunktes vor der Küste. Es ist die Bethesdainsel, der Sitz der Cassini-Päpste. „Weißt du, was das Grund dafür ist, dass wir hier sind und sie dort?"
    
    Ich zucke mit den Achseln. „Gier, Besitz und eine Menge bedrucktes Papier?", frage ich.
    
    Er lacht kurz und dunkel auf. „Du hast Recht, das natürlich auch. Aber ich stelle mir gern vor, das ihre Macht sich darauf gründet, dass sie es sind, die den Tabak verteilen. Nichts erleichtert ein gutes Gespräch so sehr, wie eine Zigarette. Während man seinen Zug nimmt, hat man genug Zeit, um über die Worte des anderen nachzudenken und dann ganz in Ruhe seine eigene Meinung in wohlgeformte Sätze zu bringen. Deshalb haben sie es hinbekommen ihre Grenzen abzustecken und sich ihre Kuschelzonen zu schaffen, während wir uns gegenseitig zerfleischen."
    
    Grinsend reicht er mir die fast vollständig verglühte Zigarette. „Der letzte Zug ist für dich, kleine Alexa."
    
    Ich rauche zu Ende, werfe den Stummel in die Gasse hinab, lege ...