1. Unter ihrer Uniform


    Datum: 20.02.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byEmaSen

    ... Dekolletee-Knöpfe tastete sein Blick auf ihr schmales Gesicht, das sich, gerahmt von dunkelblonden, glatten Strähnen, eine schon sinnliche Kindlichkeit bewahrt hatte; ihre zartrot geschminkten Lippen stachen daraus hervor wie zwei Wehen aus Rosenblättern. Sie hatte sich schick gemacht. Etwa für ihn? Erst als er in ihren elegant geschwungenen und ebenfalls dezent verschönerten, grünen Augen ein etwas verschüchtertes Drängen gewahrte, wurde ihm bewusst, dass er sie viel zu lange und intensiv angestarrt hatte -- hoffentlich nicht mit offenem Mund! Allein so etwas konnte in der Hexenküche dieses Büros in den Mittagspausen zum Verhängnis werden.
    
    »Wessels.« stellte er sich vor und streckte charismatisch die Hand hin, »Til Wessels. Leitender Kommissar, solange Herr Mann nicht da ist. KriPo Drei.«
    
    In einer fließenden Bewegung, gerade schüchtern genug um grazil zu wirken, legte sie ihre Hand in die seine -- den Gedanken an »Hautkontakt« versuchte er zu verdrängen, er durfte jetzt nicht unprofessionell wirken! Sie stellte sich ihrerseits als
    
    Johanna Siewers
    
    vor und drückte ihm stumm einen Briefumschlag in die Hand, den er in ihren immer noch etwas verschüchtert glänzenden Augen längst vergessen hatte. Sie erklärte, dass sie die neue Streifenbeamtin sei, die er aus der Zentrale angefordert hätte.
    
    Der Antrag! Es war schon Wochen her, dass er seinem Ärger über den aus dem geschlechtlichen Ungleichgewicht resultierenden Dienstplan in einem förmlichen Schreiben Luft gemacht ...
    ... hatte, nun hielt er sowohl die postalische Antwort in der Hand, so wie sie in realiter vor ihm stand.
    
    Zwecks Erleichterung des Umsetzens der jüngsten Reformen ist ihnen hiermit Frau Siewers, ordentliche Beamtin nach...
    
    bla bla bla ...
    
    zur weiteren Unterstellung ins Revier Sedanstraße-Absweilerplatz zugewiesen, unter Anderem, um damit die Akzeptanz für die Geschlechtergerechtigkeit in den äußeren Präsidien zu fördern. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Zusammenarbeit und Frau Siewers das Beste für ihre weitere Laufbahn. Mit freundlichen Grüßen ...
    
    Hoffentlich hielten die ihn da drüben jetzt nicht für einen Sexisten -- ihm entging nicht die diplomatische Spitze der Notiz.
    
    »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Büro!« Mühsam hielt er sich gefasst -- Zeit zum Jubeln war später -- wenn er alleine zu Hause saß und endlich den Steifen fortwedeln würde, der ihn schon den ganzen Tag über plagte; und es war ihm, als wüsste er schon, auf wessen Bild er abspritzen wollte. »Und danach geht's auf Streife!« rief er.
    
    Er sah, wie sie mit sich rang, ihm direkt zur allerersten Anweisung zu widersprechen: »Aber es ist doch fast Sechs?«
    
    Überstunden?
    
    Sollte er etwa bis morgen früh warten müssen, endlich den ganzen Aktendreck hinter sich zu lassen? Etwas entsetzt glitten ihre Gesichtszüge in ein leises Unwohlsein, das ihm einen Stich versetzte — Nein, diesem Mädchen konnte er nicht am ersten Arbeitstag mit Überstunden anrücken. Außerdem drängte es ihn selbst immer mehr, nach Hause ...
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