1. Vier Jahre Schweigen


    Datum: 09.03.2018, Kategorien: Schwule Autor: byRolf_Udo

    ... möchte nicht sagen, dass ich mich auch neu erschaffen hatte, aber im gewissen Sinn war das genau das, was ich getan hatte, als ich an diesem Nachmittag aus seinem Zimmer stürzte. Ich handelte, als ob es nie passiert wäre, schlimmer als das, ich löschte Niklas' Existenz. Ich musste es tun. Wenn es ihn nicht mehr gab, dann konnte ich ihn nicht mehr lieben, ihn nicht mehr küssen. Und wenn das nicht mehr möglich war, dann würde ich vielleicht, nur vielleicht, nicht mehr schwul sein.
    
    Im ersten Sommer, vor der achten Klasse, war es noch nicht so drastisch, aber als die Jahre vergingen, wurde er immer verzweifelter. Die langen Strähnen schwarz gefärbter Haare, die sein Gesicht fast komplett versteckten, schienen ihn von jedermann zu trennen und zeugten von seiner Einstellung. Er trat in die Theatergruppe ein und ja, er war nicht schlecht darin, sich zu verstellen.
    
    Im neunten Schuljahr war er in der Schwimmgruppe. Seine Haare waren etwas länger gewachsen und das gechlorte Wasser hatte sein strohblondes Haar in ein hellblondes verwandelt. Ich war nicht in der Lage, zuzuschauen. Niklas in Badehose, so oft ich es mir in Gedanken vorstellte, war etwas, was ich in meiner Gefühlslage nicht zu nah sehen durfte.
    
    Gelb gefärbte Locken im zehnten Schuljahr, die man schon von weitem erkannte, so dass ich die Möglichkeit hatte, ihm auszuweichen. Eine Begegnung mit ihm wollte ich vermeiden. Immer noch war ich nicht im Klaren mit mir.
    
    Ich hätte ihn heute fast nicht erkannt, in seinem ...
    ... dunkelgrauen Sweatshirt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, Kopfhörer angelegt trank er aus einer Wasserflasche. Neben ihm ein Skateboard, das umgedreht im Gras lag. Ich spielte mit einen Gruppe Jungs Fußball, und der Ball war aus dem Spielfeld heraus gerade auf ihn zugerollt.
    
    Ich wusste nicht viel über Skaten, aber dieses Board sprang mir in die Augen. Es war nicht sehr farbig, nur schwarze und weiße Streifen, aber da war ein Bild auf ihm gemalt, das ein rotes Herz zeigte, mit einem Riss, der quer über die rote Fläche lief. Unterhalb des gebrochenen Herzens stand ein Wort: Rätsel.
    
    Mein Unterbewusstsein hatte mich dazu gebracht, sekundenlang die einfache Zeichnung anzuschauen. Ich kam mir wie ein Eindringling in Niklas' Revier vor, als ich den Ball zurückholen wollte. Das brachte mich dazu, ihn anzusprechen, das erste Mal nach vier Jahren.
    
    „Hee, sorry dafür."
    
    Dabei deutete ich auf den Ball, der ganz in der Nähe seiner Füße lag.
    
    „Schönes Board", fügte ich hinzu, als ich mich bückte, um den Ball aufzunehmen.
    
    Niklas schwieg und ich fragte mich, ob er mich mit den Ohrhörern verstanden hatte, aber als seine Augen durch einen schwarzen Haarvorhang meine trafen, kam ein Laut aus meinem Mund. Ich hoffte, er hatte diesen auch nicht gehört und sah ihm direkt in die Augen, zum ersten Mal nach langer Zeit.
    
    Sie hatten dasselbe Grün, vor dem ich an jenem Nachmittag weggelaufen war und dann mit Absicht bis heute gemieden hatte. Er hatte keine Antwort für mich, aber sein ...
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