1. Vier Jahre Schweigen


    Datum: 09.03.2018, Kategorien: Schwule Autor: byRolf_Udo

    ... und ich ließ das Tor weit offen stehen. Das musste er einfach sehen und würde wissen, dass ich mein Versprechen nicht gebrochen hatte. Später am Nachmittag sah ich aus meinem Fenster und sah ihn. Er stand an dem Törchen, weigerte sich aber, hindurchzugehen. Seine Blicke überflogen lange unseren Garten. Plötzlich trafen sich unsere Augen. Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert, als er mich durch mein Fenster ansah. Nach einem langen Moment drehte er sich auf dem Absatz herum und schloss das Tor hinter sich mit einem Knall.
    
    Ich fragte mich, ob er jemals wieder mit mir sprechen würde und was seine ersten Worte nach so langem Schweigen sein würden. Richtig, diese Jahre des Schweigens und der Einsamkeit hatte ich gewollt, aber jetzt wollte ich mehr. Ich wollte mich entschuldigen, wollte ihm klar machen, dass nicht er, sondern ich der Schuldige war, dass ich ihn nicht verletzen wollte oder ihn links liegen lassen wollte, als ob er nicht existierte. Ich wollte seine Vergebung und die Gewissheit, dass ich den Niklas nicht vertrieben hatte, den ich einst für ewig geliebt hatte.
    
    In einer Art hatte er mich vom Haken gelassen, mir klar machen wollen, ich war für seine Handlungen nicht verantwortlich. Aber mein Gehirn flüsterte mir zu, was wahr war: Die Schuld lag bei mir. Ich war der Ängstliche, so gefangen in meinen Gefühlen, dass ich nicht ehrlich sein konnte, so allein damit, mein Schwulsein nicht annehmen zu können. Wie sollte er mich dann verstehen und nicht ...
    ... hassen?
    
    Ich lag in meinem Bett, wälzte mich schlaflos bis Mitternacht. Morgen, genau in 24 Stunden, war sein Geburtstag. Ich hatte ihn nicht vergessen, der dritten Mai. Ich hatte in besseren Tagen jeden Geburtstag mit ihm gefeiert, und Morgen wurde er achtzehn.
    
    Ich wusste nicht, was er für seinen Geburtstag geplant hatte, aber noch einen weiteren wollte ich mir nicht entgehen lassen. Vier Jahre des Schweigens, vier Jahre der Verstellung. Vier Jahre, in denen ich verdrängte, dass ich schwul war. Vier Jahre, die auch mich kaputt gemacht hatten. Ich legte eine CD in das Laufwerk meines Computers, eine der wenigen Singles, die ich als CD im Laden gekauft hatte.
    
    Wir sind allein
    
    Allein allein
    
    Allein allein
    
    We look into faces
    
    Wait for a sign
    
    Wir sind allein
    
    Allein allein
    
    Allein allein
    
    A prisoner behind the walls
    
    A heart away
    
    Once to lead ours universe
    
    Just a heart away
    
    The time has come for us to laugh
    
    A heart away
    
    To celebrate our lonelyness
    
    Wir sind allein
    
    Allein allein
    
    Allein allein
    
    We look into faces
    
    Wait for a sign
    
    Wir sind allein
    
    Allein allein
    
    Allein allein
    
    Ich stand auf. Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Ich holte die verdammte Silberscheibe aus dem Laufwerk, öffnete das Fenster und warf sie mit Todesverachtung von mir. Weg mit dem Ding, irgendwohin, wo es verrotten sollte. Wie eine Frisbeescheibe segelte sie im weiten Bogen über den Gartenzaun, in seinen Garten.
    
    Ich blickte ins Morgengrauen. Mach' ...
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