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Die zweite Chance
Datum: 25.04.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byswriter
... Ihnen zeigen?" „Äh ... ach so ... Ich sehe mich nach alten Bildern um", platzt es aus mir heraus. Mir wird schnell bewusst, dass ich keinen guten Eindruck mache, und zwinge mich, mich zusammenzureißen. „Haben Sie an bestimmte Exemplare gedacht? Suchen Sie Motive bestimmter Künstler oder Bilder aus speziellen Epochen?" Woher soll ich das wissen? Ich hätte mich besser vorbereiten sollen. Ich beschließe, mit offenen Karten zu spielen. „Ich bin kein Kunstexperte und dem Grunde nach kenne ich mich mit Gemälden nicht so gut aus ... Mir gefallen aber einige Bilder früherer Künstler ... So wie die Mona Lisa oder der Mann mit dem Goldhelm ... Wer hat den noch mal gemalt?" Sie lächelt mich milde an. „Lange Zeit ging man davon aus, dass es sich um ein Original von Rembrandt handelt. Inzwischen gibt es da berechtigte Zweifel ... Ich glaube aber nicht, dass wir Bilder dieser Qualität hier bei mir im Geschäft finden werden." Ich komme mir wie ein unwissender Schuljunge vor und blicke verschämt zu Boden. Dann schenke ich Erika mein schönstes gestelltes Lächeln und erkläre: „Das habe ich auch nicht erwartet ... Meine Großmutter hatte früher in ihrem Wohnzimmer ein altes Bild hängen gehabt ... Als Motiv diente ein Hirsch auf einer Lichtung vor einem dichten Wald. Ich fand das Bild immer faszinierend, weil ich nicht so gut malen konnte und weil mich die Detailgenauigkeit in seinen Bann gezogen hat." „Wo befindet sich dieses Bild jetzt?" „Das ist leider nach dem Tod ...
... meiner Großmutter abhandengekommen", erkläre ich. Tatsächlich hatte meine Oma so ein Bild an der Wand hängen gehabt. Leider konnte ich dem alten Schinken nie etwas abgewinnen und eine der ersten Handlungen meines Vaters nach dem Tod meiner Großmutter war gewesen, das hässliche Bild auf den Müll zu schmeißen. „Das ist natürlich schade", meint Erika mitfühlend. Meine Güte, ich habe einen Gutmenschen vor mir. So freundlich, gutgläubig, mitfühlend ... Sie hat alles das, was mir abgeht. Ich räuspere mich und frage: „Könnten Sie mir vielleicht ein paar Gemälde zeigen ...? Vielleicht erinnert mich ja eines an das meiner Großmutter." „Gerne. Leider ist die Auswahl etwas bescheiden." „Das macht ja nichts", gebe ich mich zufrieden und folge ihr auf dem Fuße. Während die 42-Jährige durch das Geschäft schreitet und mir mehrere Bilder präsentiert, mustere ich sie. Erika ist schlank und scheint keine schlechte Figur zu haben. Mögliche Problemzonen kann ich, bis auf einen weniger knackigen Hintern, nicht auf den ersten Blick ausmachen. Natürlich kaschiert sie ihre möglichen vorhandenen Reize mit dieser blöden Strickjacke und dem viel zu weiten Rock. Die Brille und die Frisur taugen auch nicht, um ihre Attraktivität zu unterstreichen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich so eine ins Bett bekomme. Warum sollte sie sich auch mit einem wie mir einlassen? Ich will nicht arrogant klingen, aber ein Dritter würde feststellen, dass Erika und ich nicht in derselben Liga ...