1. Das Vorstellungsgespräch


    Datum: 28.05.2020, Kategorien: Schamsituation Autor: Anonym

    \"Fräulein da müssen Sie in den zweiten Stock, und dann die dritte Türe rechts.\" Die Stimme aus dem gläsernen Pförtnerhäuschen klang sympathisch, trotz der Verzerrung durch den Lautsprecher. Die scheinen ja hier nett zu sein in der Firma. Ich schickte das Lächeln der Pförtnerin zurück, fasste meine Handtasche über der Schulter fester und stapfte los zum Aufzug. Heute sollte es also endlich klappen! Ich freute mich wahnsinnig. Hundert Bewerbungen und Hundert Absagen! Manche machten sich nicht einmal die Mühe abzusagen. Ich war schon der Verzweiflung nahe. Siebzehn Jahre geworden und immer noch keine Lehrstelle. Meine Mitschülerinnen hatten schon alle eine, allerdings war ihr Notendurchschnitt wesentlich höher. Das kommt eben davon, wenn man den ganzen Tag nur MTV und Viva glotzt, statt was für die Schule zu tunjetzt habe ich den Ärger. Aber jetzt ist es ja egal: Gestern kam der Anruf von der Firma \"Reinecker Metallwaren\". Sie bräuchten eine Sekretärin, und auch mit schlechten Noten wolle man mir eine Chance zur Ausbildung geben. Ich hüpfte vor Freude. ENDLICH! Endlich könnte ich es den anderen und meiner ewig nörgelnden Mutter zeigen. Ich konnte die ganze Nacht nur schlecht schlafen. Den halben Vormittag brachte ich dann damit zu mir ordentliche Sachen für das Bewerbungsgespräch zusammen zu suchen. Satintop? Zu grell. Jeans? Besser nicht. Die weiße Chiffonbluse? Zu durchsichtig, Mist! Ich entschied mich dann für eine matt glänzende schwarze Hemdbluse aus Polyester und ...
    ... einen schwarzen engen Stretchrock über schwarzer Strumpfhose. Dazu einen hellgrauen Blazer von Mutti. Weil die Sachen so dünn waren streifte ich mir vorher noch ein weißes Nylonunterkleid drunter. Die mittelblonden Haare streng nach hinten gebunden. Fertig. Ich sah an mir herunter, und eine leibhaftige Sekretärin erschien mir. Ich gluckste und hielt mir kichernd die Hand vor den Mund. Aber das Bewerbungsgespräch musste unbedingt klappen. Ich drückte die schwarze Zwei auf den elfenbeinfarbenen Knopf, und der Aufzug setze sich in Bewegung. Mein Herz klopfte. Es roch nach Nadelholzduft. Ping.
    
    Die Tür öffnete sich und ich sah in einen Flur mit dunkelgrünem Teppich. Schnell noch mal die feuchten Hände am Rock abgestreift, die Augen geschlossen und gebetet: Es muss klappen. Heute muss es klappen! Egal wie. Ich zupfte meine Synthetik-Bluse und den Blazer zurecht als ich mit einem Kribbeln in den dezent lackierten Fingern an die hellbraune Tür klopfte. Jemand rief herein, und ich drückte die Klinke nieder. \"Frau Kessler? Stimmt´s? Ich bin Herr Reinecker. Der Junior.\" Ein Mann Ende 40 stand von seinem Schreibtisch auf und reichte mir kräftig die Hand. \"Ich habe sie erwartet. Sie sehen hübsch aus.\" \"Danke\" antwortete ich leise und folgte seiner einladenden Handbewegung und nahm Platz auf dem Bürostuhl vor seinem Schreibtisch. Er blätterte in seinen Papieren, dann hatte er meine Bewerbungsmappe. Ich schluckte vor Aufregung. \"Nun ja, das sieht ja nicht gerade gut aus\" murmelte er ...
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