Der Pfleger
Datum: 26.07.2020,
Kategorien:
Betagt,
Autor: byUtauss
Ich war noch keine 5 Minuten da, da hieß es auch schon „Gut, junger Mann, Sie sind engagiert. Ihre Papiere sind soweit in Ordnung, Sie wirken auf uns kompetent und vor allem vertrauenswürdig. Oder hast Du noch Einwände, Liebling?"
Das ging ja schnell. Anscheinend waren die beiden, die mir in ihrem Wohnzimmer gegenübersaßen, irgendwelche Karriere-Typen, die große Teile ihres Privatlebens gut bezahlt in fremde Hände legten, um sich auf ihre immer irgendwie anstehende Beförderung konzentrieren zu können.
Ich mochte die beiden nicht sonderlich. Auf den ersten Blick zumindest. Schließlich kannte ich sie erst seit ein paar Minuten. Hier konnte ich gutes Geld verdienen, soviel war klar. Aber was genau wurde dafür von mir erwartet? Die Stellenanzeige gab dazu nicht viel her, nur, daß die beiden eine Pflegekraft auf Zeit suchten. Hm, „auf Zeit", das konnte alles bedeuten. War ich nur für 2-3 Wochen als Vertretung eingeplant? Oder war hier jemand bis zu seinem bevorstehenden Tod zu betreuen? Naja, vermutlich letzteres.
„Nein, mein Schatz, ich denke auch, meine Mutter ist bei ihm in guten Händen. Ist ja nicht für lange."
Wie herzlos ist das denn? Ich versuchte mir meine Empörung nicht anmerken zu lassen.
„Wo ist ihre Mutter denn überhaupt? Und was genau werden meine Aufgaben sein?" versuchte ich zum wiederholten male, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
„Sie ist oben, in ihrem Zimmer. Sie machen das schon. Wissen Sie, wir haben beruflich schon sehr viel erreicht, und ...
... wir können auch noch viel mehr erreichen. Nur brauchen wir dafür einen gewissen zeitlichen Rahmen. Und in den passen solche Dinge wie meine Mutter nicht immer rein. Sie werden verstehen, daß wir uns nicht um alles kümmern können. Gehen Sie nach oben, und machen Sie Ihre Arbeit, damit wir unsere tun können."
Na, das war mir vielleicht ein Herzchen! Tickte die noch ganz sauber? Wie redete die denn über ihre Mutter? Ich konnte mir nicht vorstellen, in diesem Haus längere Zeit zu arbeiten. Aber die Bezahlung war wirklich super, und ich beschloss, es wenigstens eine zeitlang zu versuchen.
„Schatz, Du mußt zur Arbeit! Und ich muß auch los. Herr Schneider, Sie wissen ja jetzt bescheid, Sie kommen schon zurecht. Nehmen Sie sich, was immer Sie brauchen, Sie haben da völlig freie Hand. Wir müssen jetzt wirklich...."
Und schon waren die beiden verschwunden, und brausten in ihren schicken Autos davon.
Verrückte Bande.
Kopfschüttelnd über so viel Herzlosigkeit und Gefühlskälte, stieg ich die Treppe hoch, um nach der alten Dame zu sehen. Ich konnte sie mir ja wenigstens mal ansehen. Aber was, wenn die Mutter genauso schräg drauf war, wie ihre Tochter und deren Mann? Wenn sie charakterlich genauso verkorkst war? Nun, dann konnte ich ja immernoch die Flucht ergreifen.
Die erste Tür - Badezimmer. Ok, weiter. Zweite Tür. Ich klopfte leise an (vielleicht schlief die alte Dame ja gerade?), und öffnete die Tür. Diesmal war es die richtige.
Auf dem Bett lag eine etwas ältere ...