Großmutters Ring
Datum: 24.10.2020,
Kategorien:
Insel der Scham,
Autor: derpoet
... bewegen würde. Er war unglaublich schön. Erfüllt von Ehrfurcht, ließ ich ihn auf meinen Ringfinger gleiten.
Es überkam mich ein merkwürdiges Gefühl, als der Ring sich um meinen Finger schloss. Mir wurde plötzlich ganz heiß, als hätte jemand die Heizung aufgedreht. Es gab jedoch keine Heizung hier oben. Sicherlich nur Einbildung, dachte ich insgeheim und widmete mich dem geheimnisvollen Buch.
Das Buch war in schwarzes Leder gebunden. Ein goldenes Muster war darin eingeprägt. Es erinnerte mich an einen Film, den ich als Kind gesehen hatte: Die unendliche Geschichte. Ich schmunzelte, als ich bei den Verzierungen an das Medaillon aus dem Film denken musste. Omas Dachboden weckte so viele Kindheitserinnerungen in mir. Es war beinahe wie eine Zeitreise.
Ich öffnete das Buch und starrte auf wilde Kritzeleien. Wörter, die keinen Zusammenhang ergaben, Zahlen, Zeichnungen und Muster. Was war das? Ich hatte erhofft, Omas Tagebuch gefunden zu haben. Wie gerne hätte ich mehr aus ihrem Leben erfahren. Was ich hier in den Händen hielt, war nichts, als eine große Enttäuschung. Ich legte das Buch und die Rose zurück in das Kästchen. Den Ring behielt ich an und machte mich wieder an die Arbeit.
Am nächsten Tag, es war Sonntag, kam meine beste Freundin Jenni zu Besuch. Wir kannten uns schon seit dem Sandkasten und auch jetzt, wo wir mit der Schule fast fertig waren, hingen wir noch immer zusammen, wie Pech und Schwefel. Wir saßen auf meinem Bett und ich erzählte ihr, was ich ich ...
... auf dem Dachboden alles gefunden hatte.
„Wow!“, hauchte sie, als sie den Ring an meinem Finger betrachtete. „Glaubst du, der ist wertvoll?“
„Ich weiß nicht.“, gestand ich. „Aber sieht ziemlich alt aus, findest du nicht?“
Jenni streckte ihre Hand aus und berührte mit dem Finger den Opal. Ich hatte keine Ahnung was geschah, aber irgendwie setzte der Stein plötzlich eine Energiewelle frei. Ich erschrak und zog meine Hand zurück, als ein grelles Licht das ganze Zimmer überflutete. Sterne tanzten vor meinen Augen und ein Geräusch wie eine elektrische Entladung, ließ meine Ohren summen.
Als die Blitze verstummten, war es vollkommen dunkel. Obwohl es erst kurz nach Mittag war und meine Rollos nicht verschlossen, konnte ich nicht einmal die Hand vor Augen sehen.
„Mia?!“
Es war Jenni, die sich ziemlich ängstlich anhörte.
„Mia? Wo bist du? Was zur Hölle war das?!“
Es hörte sich an, als käme es vom anderen Ende des Zimmers. Sie saß doch eben noch neben mir.
„Jenni!“
„Mia!“
Ich stand vom Bett auf und tastete mich durch den Raum in die Richtung, aus der ihr Rufen kam.
„Mia, wo bist du? Mach bitte das Licht wieder an!“
Ich tastete nach dem Lichtschalter, konnte ihn aber nicht finden. Wo war die Tür? Alles war plötzlich so anders. Mein Schreibtisch war weg, genauso wie mein Kleiderschrank.
„Mia? Du machst mir Angst!“
Ihre Stimme kam näher. Vorsichtig streckte ich die Hände aus und wir fanden uns.
„Mia!“, schluchzte sie und ich hörte, dass sie ...