Großmutters Ring
Datum: 24.10.2020,
Kategorien:
Insel der Scham,
Autor: derpoet
... was ausmachen, wenn wir uns ein andermal treffen? Ich glaube mir geht es nicht gut.“
„Langsam mache ich mir Sorgen um dich.“
„Es ist nichts. War nur ein anstrengender Tag gestern. Ich hab höllische Kopfschmerzen.“
„Dann Schlaf dich mal ordentlich aus.“
Sie machte sich auf, zu gehen, sah mich aber noch immer besorgt an. Sie kannte mich schließlich seit vielen Jahren und sah mir an, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Ruf mich heute Abend mal an. Ich will wissen, ob es dir besser geht.“
„Mach ich.“
„Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst.“
„Glaub mir, es ist alles in Ordnung.“
Meine Mutter klopfte an der Tür.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.
„Jenni hat gemeint ich solle nach dir sehen.“
„Alles gut, Mama. Es war nur alles ein wenig viel. Ich möchte einfach etwas alleine sein.“
Sie wusste, wie sehr mich Omas Tot beschäftigte und verständnisvoll schloss sie die Türe und ließ mich allein.
Ich zog Omas Kästchen unter dem Bett hervor und nahm mir das Buch heraus. Keine Ahnung, was ich erhoffte, darin zu finden. Schließlich hatte sie nur wirres Zeug hinein gekritzelt. Als ich jedoch einen erneuten Blick auf die Seiten warf, glaubte ich kaum, meinen Augen zu trauen.
Das war gestern alles noch nicht lesbar!
Hastig blätterte ich die Seiten durch, die nun bis zum Rand gefüllt mit Text waren.
Ich zog mir die Decke bis zum Hals und begann darin zu lesen. Seite für Seite, studierte ich Omas Aufzeichnungen. Nach jedem Absatz ...
... hielt ich inne und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das kann doch nicht wirklich war sein!“
Sie hatte den Ring wohl vor langer Zeit von einem Antiquitätenhändler erworben. Seine Kräfte hatte sie, genau wie ich, durch reinen Zufall entdeckt. Über Jahre hinweg, hatte sie ausgiebig davon Gebrauch gemacht und all ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Das Buch las sich, wie eine erotische Fantasiegeschichte. Hätte ich die Wirkung nicht eben am eigenen Leib erfahren, hätte ich kein einziges Wort darin geglaubt und meine Großmutter für verrückt gehalten.
Für mich war Oma immer eine alte Frau. Hier von ihren sexuellen Erlebnissen zu lesen, war irgendwie befremdlich. Sie hatte im Laufe der Jahre gelernt, ihren Nutzen aus dem Ring zu ziehen, allerdings schien sie ebenso wenig zu wissen, welche Macht dafür verantwortlich war, wie ich.
Sie hatte sogar den Antiquitätenhändler aufsuchen wollen, um mehr über seine Herkunft zu erfahren, doch dieser war nicht mehr auffindbar. Irgendwann hatte sie sich einfach damit abgefunden, dass es Dinge im Leben gab, die nicht erklärlich waren.
Ich legte das Buch zur Seite, drehte mich auf den Rücken und hielt den Ring in die Höhe.
Es kam mir vor, als wäre ich Teil einer Fantasiegeschichte, die ich selbst gestalten könne. Ich besaß einen Ring, der seinem Träger eine unglaubliche Macht verlieh. Jeder der den Opal berührte, würde mir nackt gegenüber stehen und mir augenblicklich verfallen. Bis zu dem Moment, an dem ich den Ring wieder abnehmen ...