Eine Brasilianerin in Hamburg
Datum: 08.06.2018,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
Autor: byCamilaFrank
Seit Viertel vor zehn saß er in der Bar vom Marriott. Direkt neben dem Klavier, wo der italienische Pianist gerade 'I love you just the way you are' von Billy Joel zum Besten gab. Eines seiner Lieblingslieder aller Zeiten. Nun ja, ‚Piano Man' von Billy Joel gefiel ihm noch besser, aber das wäre dann wohl doch zu kitschig gewesen in dieser Umgebung.
Thomas liebte diese Bar und kam ein oder zwei Mal im Monat hier vorbei. Es war alles so stilvoll, aber auf eine fast schon übertriebene Art. Kellner mit Hosenträgern, rot gemusterte Tapeten an den Wänden, edle Ledersessel, und meist ein Sänger und Klavierspieler.
Vor ihm stand sein Glas Roero Arneis -- seiner Meinung nach der beste Weißwein überhaupt -- und dazu eine Schale mit Wasabi-Nüssen. Alicia hatte ihm eben noch eine SMS geschickt. „Bist du bereit, Corno? Ich komme gleich." Er sah sich um. Die Bar war noch halb leer. An einem der Tische saßen drei Geschäftsleute aus Indien oder sonst wo in Südasien. Zwei einzelne Anzugträger langweilten sich an der Bar und dann waren da noch zwei junge Typen, ganz lässig gekleidet, vielleicht aus der Musikbranche oder Gäste so wie er, die nicht im Hotel schliefen, sondern irgendwo in der Stadt wohnten und nur wegen der Drinks herkamen.
Thomas fragte sich, ob einer von ihnen wohl auf Alicia abfahren würde. Mit wem von ihnen würde sie ihn betrügen? In ihm machte sich diese Spannung breit. Und dann kam sie auch tatsächlich herein und sah atemberaubend aus. Sie trug ein dunkelblaues ...
... Kleid, bis über die Knie, und eine Jacke über dem Arm. Ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht, die Haare hochgesteckt. Dezent geschminkt, wie eine junge, erfolgreiche Geschäftsfrau, vielleicht aus der Modebranche.
Sie schaute sich in der Bar um. Ihr Blick fiel kurz auf ihn, blieb aber nicht an ihm haften. Genau so, wie sie es vereinbart hatten. Er wusste, dass alle sie anschauen würden, wenn sie hineinkam. Niemand sollte sehen, dass sie zu ihm gehörte. Sonst würde sich ihr ja niemand nähern. Sie wählte einen Hocker an der edlen Theke und nahm dort Platz. Der Kellner war sofort zur Stelle. Einige Minuten später stand ein Glas Rotwein vor ihr. Sie schaute auf ihr Smartphone, las dort die neuesten Nachrichten oder war auf Facebook unterwegs. Das konnte er nicht genau erkennen.
Er hatte bemerkt, dass die drei Inder sie bewundernd angeschaut hatten, als sie in die Hotelbar kam. Hatten irgendetwas untereinander geredet, dann gelacht, sie noch ein bisschen beobachtet und dann ihre Unterhaltung fortgesetzt. Klar, keiner würde sich jetzt vor den anderen die Blöße geben und sich möglicherweise einen Korb einfangen. Einer der beiden einzelnen Männer an der Bar hatte sie kurz angelächelt, dann aber nichts weiter unternommen. Er trug einen Ehering und schien treu zu sein. Oder schüchtern. Der andere hatte die Bar inzwischen verlassen und war wohl auf sein Zimmer hinauf gegangen.
Sein Handy vibrierte. Eine neue Nachricht war eingegangen. „Ziemlich ruhig hier, Schatz. Ich würde so gerne ...