1. Rapunzel 03


    Datum: 11.06.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byJoanWilbury

    ... Jagger."
    
    So hat er sich mir vorgestellt, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Es ist schon ewig lange her, aber ich weiß es trotzdem noch. Nicht nur, weil er den Spruch immer noch bringt, wenn er neue Leute kennenlernt, sondern auch, weil er schon damals ziemlichen Eindruck auf mich gemacht hat.
    
    Ich war gerade mal fünf und er so ungefähr zwanzig. Er machte sozusagen seinen Anstandsbesuch bei uns, mein Vater hatte nämlich Geburtstag und er war quasi sein Schwager, weil er damals gerade mit der jüngeren Schwester meines Vaters zusammen war. Sie war 26 und passte überhaupt nicht zu ihm. Er war viel zu cool für sie. Die Beziehung der beiden hielt auch nur ein paar Monate, aber mit meinen Eltern hat er sich verdammt eng angefreundet.
    
    Und mit mir.
    
    Ich hab wahrscheinlich ein ziemlich blödes Gesicht gemacht, als er sich mir so vorgestellt hat. Er guckte mich nämlich bedauernd an und meinte: „Ach, Shit. Das sagt dir natürlich nichts, oder? Mick Jagger."
    
    Ich schüttelte nur den Kopf, zum Reden war ich zu schüchtern, aber das machte ihm nichts aus.
    
    „Werd dir was über ihn erzählen", versprach er mir. „Nachher, wenn man sich von diesem gepflegten Besäufnis höflich entfernen kann."
    
    „Red vor dem Kind nicht so einen Schwachsinn", fuhr ihn meine Tante an. Als ob sie sich für mich interessiert hätte. Nachdem sie sich erst mit Mick und dann mit meinem Vater verkracht hatte, hat sie sich nie mehr um mich gekümmert. Nicht mal dann, als ich sie vielleicht gebraucht ...
    ... hätte.
    
    Mick blieb gelassen. „Komm mal runter. Das ist ein kleines Mädchen, keine Idiotin. Die weiß sowieso, worum 's euch hier geht."
    
    Da war ich mir zwar nicht so sicher, aber ich wusste immerhin, dass mein Vater eine andere Vorstellung hatte vom Geburtstag feiern als ich. Und ich fühlte mich verdammt stolz, dass da plötzlich jemand -- ein Erwachsener! -- war, der mich für voll nahm.
    
    „Sorry", sagte er wieder zu mir. „Hab dich gar nicht nach deinem Namen gefragt."
    
    Ganz leise und zaghaft flüsterte ich eine Antwort. Er lächelte mich an und zwinkerte. „Schöner Name."
    
    Dann kam meine Mutter und sagte mir, ich dürfte noch in meinem Zimmer spielen, bevor ich ins Bett müsste. Mit anderen Worten, die Erwachsenen wollten ihre Ruhe haben und sich gepflegt besaufen, wie Mick es auf den Punkt gebracht hatte.
    
    Als ich schlafen gehen sollte -- meine Mutter war gerade dabei, mich zuzudecken -- schlenderte er an meiner offenen Zimmertür vorbei.
    
    „Na?", fragte er. „Noch Lust auf 'ne kurze Geschichte? Vorausgesetzt, du hast nichts dagegen, Luisa", fügte er an meine Mutter gewandt hinzu.
    
    Die zuckte nur mit den Schultern. „Was meinst du, Tanita? Du bist doch eh noch nicht müde, oder?"
    
    „Nee", sagte ich und fragte ihn schüchtern: „Erzählst du mir jetzt was von Mick Jagger?"
    
    „Hab ich dir doch versprochen."
    
    Das war die bis dahin ungewöhnlichste Gute-Nacht-Geschichte, die ich zu hören bekam. Mick saß an meinem Bett und erzählte mir von seinem Namensvetter und den
    
    Stones
    
    . ...
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